Bauern, Bonzen und Bomben
auch ihn wütend anstarrt: »Wackerer Stuff …«
Stuff geht schweigend mit ihm, durch das Gedränge der Stadtverordneten und Magistratsmitglieder. Dann über Gänge, mehrere Treppen zu Gareis’ Zimmer.
Schon während der ersten zehn Schritte hat er den Mann neben sich, den Wortwechsel vergessen. Wieder ist er mit seinen Gedanken bei der deutschnationalen Interpellation, dieser Idee von ihm, die er durchgesetzt hatte, als ihn Gebhardt zum Schweigen verdammte.
Die Fraktion der Deutschnationalen ist in Altholms Parlament nur schwach vertreten: Ein Dutzend Kriegervereine, das honette Bürgertum, der Stahlhelm, alle wackeren Hausfrauen zusammen haben nicht mehr als drei Vertreter entsenden können.
Aber drei Vertreter sind genug, eine Anfrage einzubringen, das ist es, was Stuff immer wieder Medizinalrat Doktor Lienau gepredigt hat. »Sämtliche Bürgerliche, Volkspartei, Demokraten, Zentrum, aber auch die KPD warten nur darauf. Gehen
Sie
vor.«
|449| Nun, Lienau hat sich breitschlagen lassen. Stuff siegte, eine kurze Anfrage wurde gebaut: »Was gedenkt die Stadtverwaltung zu tun, um wieder normale Beziehungen zwischen Stadt und Land anzubahnen?«
In der Nacht vor dem Interpellationstage kamen die Verhaftungen. Die ganze Lage war verändert. Stuff selbst hatte berichten müssen von dem Angriff auf Gareis, der auf einer Wiese explodierten Bombe, von dem vorläufig unaufgeklärten Überfall auf einen Setzer in der Redaktion der »Bauernschaft«, von den Bauernverhaftungen.
Er hat Lienau beschworen, die Anfrage zurückzuziehen.
Der Stahlhelmmann hat abgelehnt. »Zurückziehen? So sehen wir aus! Wenn zum Angriff geblasen ist, wird angegriffen, ganz gleich, wie stark der Feind ist. Piepe ist mir das, wenn der Gareis jetzt plötzlich Sympathien hat!«
Aber der Held ist dann nicht erschienen: Eine unaufschiebbare Operation hat ihm in letzter Stunde die Teilnahme an der Sitzung unmöglich gemacht.
Zwei Deutschnationale bleiben zur Begründung der Anfrage: der Notar Pepper und der Viehhändler und Schlachtermeister Storm, Mitglied vieler Kriegervereine.
Die Begründung war dem Schlachtermeister übertragen worden.
Er las sie ab, stotternd und stockend, von einem Bogen Papier, der wahrscheinlich mit der Arztklaue Lienaus bedeckt war. Er zerpflückte jeden Satz, holte bei den Kommas Luft und verachtete die Punkte.
Man hatte, je nach Parteirichtung, in stiller Freude, in einem peinlichen Verlegenheitsgefühl dieses Gestammel angehört.
Alle aber atmeten auf, als es vorbei war.
Bürgermeister Gareis hatte sich sofort zur Beantwortung der Anfrage erhoben. Er verteidigt sich nicht. Er verliest einen eben veröffentlichten Satz aus den »Nachrichten«: »›Wenn, wie es den Anschein hat, tatsächlich die Bauernschaft den Bombenattentaten nicht fernstehen sollte, so erscheint der |450| sechsundzwanzigste Juli und das Vorgehen der Polizei in einem ganz anderen Lichte.‹
Ja, meine Herren, da haben Sie’s. Wem die Ereignisse recht geben, der hat recht. Heute haben sie mir recht gegeben. Sie alle, die Sie hier sitzen, selbst der so behinderte Sprecher der Interpellanten, heute sind Sie zuinnerst davon überzeugt, daß ich recht habe.
Aber warum? Nicht weil ich richtig gehandelt habe, sondern weil zufällig wieder mal eine Bombe geworfen werden sollte. Und heute habe ich doppelt recht, zehnfach recht, weil die Bombe auf mich fallen sollte.
Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, morgen kann eine neue Nachricht kommen. Morgen kann es sich herausstellen, daß es ein paar Abenteurer waren, die die Bomben warfen. Morgen kommt ein armer Verwirrter aus mir politisch nahestehenden Kreisen auf die Idee, eine Bombe in das Haus des Bauernführers Reimers zu werfen – gleich habe ich wieder unrecht.
Nein, meine Herren, ich danke! Ich soll Ihnen erzählen, warum ich das getan habe und jenes gelassen? Ich soll Ihnen begründen?
Aber Sie sehen ja, daß Gründe nichts sind, daß meine Motive wertlos sind, daß es hier um ganz andere Dinge geht.«
Er steht da, prachtvoll anzusehen, ein bösartiger Elefant, ein zürnender Lehrer, der über einer Schar verwirrter Lausbuben hockt.
»Ich danke!
Ich
danke!
Ich verzichte darauf, meine Rechtfertigung aus dem mißglückten Wurf eines Geisteskranken herzuleiten.
Sie, Herr Schlachtermeister Storm, haben mich gefragt, haben die Stadtverwaltung gefragt, was wir für die Anbahnung normaler Beziehungen tun wollen.
Ich, für meine Person, antworte Ihnen: Ich gedenke zu warten. Das ist
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