Bauern, Bonzen und Bomben
down. Der Dunkle an der Theke liegt ihm im Magen.
So klettert er denn die Außentreppe am Hauptgebäude hoch, und als er das erste Stockwerk erreicht hat, geht er nicht hinein, sondern klimmt an der Wand weiter, unter Benutzung von Mauervorsprüngen, Simsen. Bis in den zweiten Stock.
Er hat sich alles gut überlegt. Aus seiner Erinnerung hat er sich die Fassade rekonstruiert, es klappt alles. So kommt er nicht wie sonst immer von außen oder aus dem Erdgeschoß auf die Redaktion, sondern vom zweiten Stock aus. Wenn der da ist, darauf ist er nicht vorbereitet: Von oben kommt kein Klingelsignal.
Er hat Glück: Im zweiten Stock steht gleich in der Buchbinderei ein Fenster offen, er schwingt sich hinein und steht, langsamer atmend, im stillen Raum.
Nichts rührt sich, das Haus schläft.
Aber Thiel weiß, das Haus schläft nicht. Er weiß, heute kommt er ans Ziel.
Er zieht leise seine Schuhe aus und stellt sie beiseite. Dann öffnet er unendlich behutsam die Tür zum Korrektorzimmer und schleicht hinein.
Er steht in der Mitte des dunklen Raumes. Mit der Hüfte lehnt er gegen einen Tisch, beide Hände hat er auf ein Stehpult gelegt.
So steht er da und lauscht. Er ist jetzt direkt über der Redaktion.
Alles ist still. Ganz still.
Und langsam kommt aus der tiefen Stille ein ganz leiser Klang zu ihm, ein Garnichts von Schall, ein verwehender Ton.
Unendlich langsam läßt sich Thiel auf die Knie nieder, dann lauscht er, mit dem Ohr auf der Erde, lange.
Weit ab, gespensterhaft, hört er Schritte, Hinundhergehen, unter sich.
Der ist da.
|441| Er überlegt, während er sich aufrichtet, fieberhaft. Zuerst muß er das Fenster vom Korrektorzimmer schließen, damit, wenn er die Tür zum Gang aufmacht, kein Luftzug entsteht. Auch die Tür zum Buchbinder muß zu. Man weiß nicht, hat der unten die Tür zum Gang auf, kann der Luftzug ihn warnen.
Er erledigt alles und öffnet die Tür zum Gang. Richtig, die Tür unten muß aufstehen, er hört jetzt den Schritt deutlicher.
Der fühlt sich hübsch sicher, denkt Thiel. Na, warte!
Er tastet sich den oberen Flur entlang bis zur Treppe. Über die Stufen darf er natürlich nicht hinab, ein Knarren kann alles verderben. Aber es ist ja ein altes Bürgerhaus, die Treppe hat ein schönes breites Geländer, und auf dem rutscht er hinunter, ganz im Stil seiner Jungenjahre, nur heftig abbremsend.
Er steht unten auf dem Flur, zwei Meter von der Tür ab, die angelehnt, aber nicht eingeklinkt ist. Der Weg bis zur Tür ist endlos. Das Herz klopft so lästig, die Glieder flattern ewig. Dann ist er an der Tür. Thiel schiebt drei Finger in ihren Spalt und bewegt sie langsam auf. Er sieht ein gebeugtes, weiß beleuchtetes Gesicht über dem Schreibtisch im Lichtkegel einer Taschenlampe …
Da knarrt die Tür.
Das Gesicht fährt aus dem Licht. Thiel sieht einen Arm gegen sich erhoben. Er greift in die Tasche.
Das Licht geht aus.
Thiel schleudert den Stein. Es klatscht dumpf. Jemand schreit, brüllt: »Uaah! Uaah!«
Schwächer: »Uaaah!«
Thiel macht einen Schritt ins Dunkle, tastet nach dem Schalter, und es wird schmerzend hell.
Auf dem Teppich vor dem Schreibtisch liegt der Mann in blauem Setzerkittel.
Die Schreibtischlade ist offen. Auf dem Schreibtisch liegen Schriftstücke, ganz viele.
Plötzlich ist Thiel hilflos.
|442| Der Mann blutet, liegt reglos.
Was soll denn das alles? Was habe ich nun zu tun? Was mache ich jetzt bloß mit dem Mann? Nie habe ich weiter gedacht als bis zu diesem Moment.
Ein feines blechernes Raspeln tönt in der Wand. Jemand ist unten, jemand, der auch nicht auf legalem Wege das Haus betreten.
Langsam kommen Schritte die Treppe hinauf.
Noch könnte Thiel fliehen, aber er starrt weiter den Mann an auf dem Teppich, der sich zögernd bewegt, die Augen aufschlägt, Thiel fest anschaut.
Nun sind die Schritte ganz nah.
Ist es Padberg?
In der Tür steht der dunkle Bauchige aus der Kneipe. Hinter ihm zwei Polizisten. Er blickt schweigend in das Zimmer.
Dann: »Kriminalpolizei. Kommissar Tunk. Sie sind verhaftet, Herr Thiel. Machen Sie keine Geschichten, sonst …« Und er läßt eine Pistole halb aus der Tasche tauchen.
Erleichtert denkt Thiel: Gott sei Dank, nun bin ich den ganzen Kram los. Irgendwie regelt sich alles. Und laut: »Nehmen Sie lieber den Einbrecher da fest.«
»Erst einmal«, sagt der Kommissar, »wollen wir Sie ein bißchen schmücken, mein Junge. Hände her. So, nebeneinander.«
Die Handfessel schnappt zu.
»Und was machen Sie hier?«
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