Bauern, Bonzen und Bomben
sicher nie eine Fahne getragen. Sie schwankt zwischen seinen Händen, kippt nach vorn, der Vorsitzende und der Gerichtsdiener retten sie knapp vor einem Fall.
|506| Ungeduldig streift Henning die Binde ab. Er nimmt die Fahne aus Padbergs Händen, hält sie vor die Brust. Dann hebt er sie plötzlich.
Irgend etwas reißt ihn mit, er hebt sie höher und höher, läßt sie seitlich fallen, fängt sie mit einer Hand ab, das Fahnentuch entfaltet sich: schwarzes Feld, weißer Pflug, rotes Schwert.
Sie knattert und schlägt, weht nach rechts, weht nach links.
Im Zuschauerraum werden ein paar Rufe laut: »Heil Bauernschaft!«
Der Verteidiger springt zu. »Ihr Arm, Herr Henning!« erinnert er. Plötzlich sinkt Hennings Arm herunter, er verzieht schmerzvoll das Gesicht, mit Mühe hält er die Fahne in einer Hand, Padberg und Rohwer nehmen sie ihm ab.
Alles ist vorbei.
Aber Tredups Hand fliegt nur so über das Papier.
»Der ›Krüppel‹ Henning als Fahnenschwenker. – Verteidiger nimmt Hilfsstellung. – Wunderwirkung einer Fahne auf Armlähmung.«
Das ist doch was, da wird sich Bürgermeister Gareis freuen, wenn er das liest. Allerdings, eigentlich sind diese Angeklagten alle ganz nette Kerle, vor allem Henning ist wirklich nett, aber kann man sich so etwas entgehen lassen? Das grade lesen die Leute gern.
Hinter dem Pressetisch geht der Gerichtsdiener, flüstert das Wort: »Chronik« – »Chronik« – »Chronik« … Erschreckt fährt Tredup herum. »Ja. Hier.«
»Sie möchten mal rauskommen.«
Man ruft ihn ab. Stuff hat gesiegt. Wieder Annoncen sammeln, nachdem man hier im Saal, an diesem Tisch gesessen.
Tredup rafft seine Papiere zusammen und schleicht aus dem Saal. Noch ein Blick auf alles, das er nicht wiedersehen wird: der Richtertisch mit den Schöffen, das Tischchen in der Ecke, an dem neben Stadtrat Röstel der Vertreter der Regierung in Stolpe sitzt, Assessor Meier, Padberg redet grade.
|507| Austreibung aus dem Paradies.
Die Tür geht hinter ihm zu.
Aber draußen im Vorsaal steht nur Lehrling Fritz in seinem blauen Kittel. »Das Manuskript, Herr Tredup, es ist gleich zwölf.«
Tredup atmet auf, sucht die Blätter zusammen.
»Herr Stuff ist auch hier«, sagt er möglichst gleichgültig.
»Der hat schon heute früh bei uns reingeschaut. Adieu gesagt. Der ist jetzt bei der ›Bauernschaft‹, berichtet Fritz.
»Ja so, bei der ‚Bauernschaft«, sagt Tredup und sieht gegen die Fenster, die heller und heller werden. »Wie ist eigentlich das Wetter draußen?« fragt er.
»Es klärt auf, Herr Tredup.«
»Also, es klärt auf«, sagt der und geht mit festen Schritten gegen die Tür, an dem Schupo vorbei, in den Sitzungssaal.
3
Als letzter Angeklagter wird noch am späten Nachmittag der Dentist Franz Czibulla aus Stolpe vernommen. Der kleine bärtige Mann tritt mit fliegenden Gliedern vor den Richtertisch, immer wieder fahren seine Hände bergend zu dem zerstörten Gesicht.
Der Vorsitzende fragt: »Sie haben eine Klage gegen die Stadt Altholm angestrengt?«
»Ja, Herr Landgerichtsdirektor, wo man mich so zugerichtet hat! Ich muß unter Menschen sein, um zu verdienen. Wie kann ich denn so unter Menschen sein?« Wieder fährt seine Hand zum Gesicht hoch.
»Also Sie kamen vom Bahnhof …?« fängt der Vorsitzende an.
»Ich kam vom Bahnhof, ja. Ich wollte zu meinem Kunden Heß in der Propstenstraße, dem ich ein Gebiß gemacht hatte. Herr Heß kann immer schlecht abkommen, deshalb gehe ich zu ihm.«
|508| »Wir werden Herrn Heß noch hören«, sagt der Vorsitzende. »Also, Sie gingen den Burstah hinunter? War es da nun sehr voll?«
»Nein. Zuerst gar nicht. Ganz leer war es, totenstill war es dort. Es fiel mir noch auf.«
»Also aufgefallen ist Ihnen da schon was?«
»Wie man so denkt: Hier ist es aber still. Und dann sieht man in die Schaufenster. Und dann denkt man wieder: Hier ist es aber still heute in Altholm.«
»Sie haben also nicht weiter darüber nachgedacht?«
»Nein. Wenn ich vorher gewußt hätte, was mir passieren würde, hätte ich darüber nachgedacht. Aber das kann man ja nicht.«
»Haben Sie denn nicht gewußt, daß in Altholm eine Bauerndemonstration stattfinden würde? Es stand doch in den Zeitungen.«
»Vielleicht habe ich es gelesen. Aber daran gedacht habe ich sicher nicht.«
»Sie sind also kein Bauernschaftsanhänger? Sie haben doch hauptsächlich Landkundschaft.«
»Ich bin ein Geschäftsmann, Herr Landgerichtsdirektor.«
»Sie sollen sich aber zustimmend über
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