Bauern, Bonzen und Bomben
und sagte meinem Sekretär, er solle das Auto zu meiner Wohnung senden. Vorher schon hatte ich dem Amt gesagt, es solle mich sofort nach diesem Telefongespräch mit dem Offizier der Schupo in Grünhof verbinden. Als mein Sekretär die Autobestellung erledigt hatte, gab ich ihm die Anweisung, den Geheimbefehl der Regierung, der in meinem Schreibtisch lag, zu öffnen und mir vorzulesen. Der Sekretär öffnete den Brief. Doch wurde das Gespräch, noch ehe er ein Wort vorgelesen hatte, versehentlich unterbrochen und ich mit der Schupo in Grünhof verbunden. Ich gab dem Offizier, Herrn Oberleutnant Wrede, den Befehl, seine Leute sofort in die Nähe der Auktionshalle zu bringen, mit dem Einsatz aber zu warten, bis ich selbst käme.«
»Sie haben also, wenn ich Sie recht verstanden habe, die Schupo eingesetzt, bevor Sie den Geheimbefehl kannten?«
»Jawohl.«
»Und was taten Sie nun? Riefen Sie wieder Ihren Sekretär an?«
»Nein. Das Auto wartete unten, ich glaubte an große Kämpfe, ich fuhr direkt zur Bahnhofswache, um Polizeioberinspektor Frerksen zu befragen.«
»Wann haben Sie also in den Geheimbefehl Einsicht genommen?«
Der Bürgermeister sagt:
»Ich habe ihn nie zu sehen bekommen.«
»Wie?!«
|578| Durch den ganzen Saal läuft ein Geräusch der Überraschung.
»Ich habe niemals den Geheimbefehl zu Gesicht bekommen.«
»Herr Bürgermeister!«
»Nie. Keine Zeile. Kein Wort.«
»Herr Bürgermeister, ich mache Sie darauf aufmerksam, daß Sie hier unter Ihrem Eid aussagen.«
Der Bürgermeister sagt kurz: »Kein Mensch weiß das besser als ich.«
Der Vorsitzende sammelt sich, er schwingt seine Glocke, dämpft die tausend Geräusche, die immer vordringlicher laut werden.
»Aber Sie haben den Geheimbefehl inhaltlich kennengelernt?«
Gareis sagt: »Ich habe heute noch nicht die geringste Ahnung, was in ihm steht.«
Der Lärm läßt sich nicht mehr dämpfen. Fast alle stehen. Die Pressevertreter haben das Schreiben vergessen, Staatsanwälte und Verteidiger stehen neben dem Zeugen. Assessor Meier am Regierungstisch nimmt ununterbrochen sein Glas ab, reibt es, setzt es wieder auf. Seine Hände zittern.
Der Vorsitzende ruft: »Ich ersuche um vollkommene Ruhe. Oder ich lasse den Saal auf der Stelle räumen. Gerichtsdiener, Schupo, das Publikum hat zu sitzen. Meine Herren von der Presse, dort steht Ihr Tisch …«
Es wird einigermaßen Ruhe.
Der Vorsitzende: »Herr Bürgermeister, ich ersuche Sie, uns Ihre Angaben zu erläutern. Sie sind so überraschend …« Die höfliche Stimme klingt übellaunig, streitsüchtig. »Vielleicht nennen Sie uns auch gleich Zeugen …«
Der Bürgermeister ist vollkommen ruhig geworden. »Ich fuhr zur Bahnhofswache, hörte die Berichte des Polizeimeisters, des Oberinspektors. Dann zur Viehhalle. Es war ein ziemliches Durcheinander. An den Geheimbefehl dachte ich überhaupt nicht mehr. Auch Oberleutnant Wrede erinnerte mich nicht wieder an ihn.
|579| An diesem Tage kam ich nicht mehr auf mein Amtszimmer. Auch in den nächsten Tagen war so unendlich viel zu tun, daß ich nicht wieder an ihn dachte. Als er mir einfiel, war er verschwunden. Ich habe wochenlang nach ihm suchen lassen, er blieb verschwunden. Mein Sekretär Piekbusch versichert, daß er ihn in das Fach zurückgelegt hat. Aus diesem Fach ist er verschwunden. Er kann in andere Akten geraten sein, er kann auch so – verschwunden sein. Ich habe meinen Sekretär mehrmals befragt, er hat zwar den Befehl gelesen, kann sich aber mit keinem Gedanken an seinen Inhalt erinnern. – Das ist alles.«
Stille. Langes unbefriedigtes Schweigen.
»Herr Bürgermeister«, beginnt der Landgerichtsdirektor langsam und vorsichtig. »Sie werden verstehen, wenn Ihre heutigen Aussagen auf ein tiefes – nun, sagen wir, auf eine tiefe Überraschung stoßen. Ich muß an Sie die Frage richten, warum Sie das, was Sie uns heute erzählt haben, nicht vor zwei Tagen sagten. Warum das Verstecken hinter der Aussageerlaubnis?«
»Kein Mensch«, sagt der Bürgermeister langsam, »gesteht gerne Fehler, Versäumnisse. Ich glaubte ehrlich, daß die Regierung die Veröffentlichung des Geheimbefehls nicht wünschte. Dieser Glaube konnte mich vor dem öffentlichen Geständnis eines Fehlers bewahren.«
»Sie haben«, sagt der Vorsitzende, »auf Kosten des Gerichts, auf Kosten unserer aller Zeit va banque gespielt.«
Der Bürgermeister schweigt.
»Sie haben«, sagt der Vorsitzende, »noch vorgestern morgen einen Pressevertreter, der von
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