Bauern, Bonzen und Bomben
selbst lesen wollen … Die Entscheidung der Regierung …«
Gareis greift hastig danach, er liest das Blatt sehr langsam und sehr lange.
Er läßt es sinken.
Mit etwas festerer Stimme sagt er: »Ich vermutete es. Hier muß ein Irrtum vorliegen. Ich habe erst heute früh den Bescheid des Ministers erhalten, daß ich nicht aussagen darf. Ich weiß wirklich nicht …«
Der Vorsitzende: »Sie haben den klaren schriftlichen Bescheid erhalten, Herr Bürgermeister …?«
|575| Der Landgerichtsdirektor sieht gegen den Tisch der Regierung hin, an dem sich widerwillig und zögernd Assessor Meier erhebt, langsam naht …
Unterdes sagt der Verteidiger direkt neben dem Zeugen: »Ich bitte doch den Gerichtshof, die Bedenken des Herrn Zeugen abzulehnen. Wir haben einen klaren, unzweideutigen Entscheid der Regierung in Stolpe. Die Regierung in Stolpe ist die vorgesetzte Behörde des Zeugen. Der Entscheid ist verbindlich.«
Der Vorsitzende sagt: »Vielleicht kann uns Herr Assessor Meier, der die Aussageerlaubnis aus Stolpe mitbrachte, etwas über ihre Genesis sagen?«
Die Verteidigung widerspricht: »Die Erlaubnis genügt strafprozessual vollkommen …«
»Aber wenn Herr Assessor uns orientieren kann …«
Und der Assessor: »Ich weiß nicht, wer Herrn Bürgermeister Gareis den erwähnten Bescheid des Ministers mitgeteilt hat. Ich darf sagen, daß die Aussageerlaubnis nicht ohne ausführliche Rücksprache mit dem Herrn Minister erteilt wurde.
Der Herr Minister wünscht ungehinderte freie Aussage.«
Alles tritt etwas zurück, Gareis steht wieder allein.
Der Vorsitzende sagt: »Wer hat Ihnen denn den Entscheid mitgeteilt, Herr Bürgermeister? Können Sie uns das vielleicht sagen?«
Der Bürgermeister murmelt: »Es war ein telefonischer Bescheid.«
»Im Auftrage des Ministers?«
»Nein, nicht direkt.«
Der Vorsitzende: »Ja, Herr Bürgermeister, ich sehe da keinen Weg. Der Entscheid der Regierung ist so unzweideutig, daß ich Sie bitten muß, Ihre Bedenken zurückzustellen und auszusagen.«
Der Bürgermeister steht in qualvoller Unruhe da. Ein paarmal sieht er zur Tür. Der Verteidiger sagt ironisch: »Herr Bürgermeister Gareis macht uns außerordentlich gespannt auf diesen Geheimbefehl. Ein so ungewöhnliches Zögern …«
|576| Und Gareis, plötzlich wütend: »Wenn einer, so weiß vielleicht Herr Justizrat Streiter die Gründe meines ungewöhnlichen Zögerns.«
Und der Verteidiger: »Sollen diese Worte mir unterstellen, daß
ich
den Geheimbefehl kannte, so weise ich sie in aller Schärfe zurück.«
Der Vorsitzende sagt: »Ich bitte Sie, meine Herren! – Herr Bürgermeister, wollen Sie jetzt so freundlich sein, in Ihrer Aussage fortzufahren, Sie ließen den Geheimbefehl öffnen …?«
»Ja«, sagt der Bürgermeister gedankenverloren. »Ja.«
Er steht allein. Die andern sind von ihm zurückgetreten. Das Licht, das durch die Fenster sickert, ist grau; grau verliert sich die Zuhörerschar in der Tiefe der Halle.
Die große Gestalt des Zeugen, eben noch unruhig, strafft sich. »Ja«, sagt Gareis noch einmal.
Er dreht sich um gegen die Zuhörer, er sucht ein Gesicht. Sein Blick begegnet dem Steins, die beiden sehen sich an. Der Bürgermeister hebt die Hand.
Dann wendet er sich zu dem Vorsitzenden. Seine Stimme ist klar, seine Sprache ungehemmt, als er sagt: »Ich war in meiner Wohnung, mit Vorbereitungen für meine Urlaubsreise beschäftigt. Da wurde ich angerufen. Ein Mann, der mich als ›Genosse‹ anredete, sagte mir, daß es zu blutigen Zusammenstößen zwischen Bauern und Polizei gekommen sei. Die Bauern gingen mit Pistolen vor. Ich rief zuerst die Rathauswache an …«
»Einen Augenblick, bitte«, sagt der Vorsitzende. »Wer rief Sie an?«
»Ich weiß es nicht. Ich habe sofort versucht zu ermitteln, wer der Anrufende gewesen ist. Von der Post wurde mir gesagt, ein Arbeiter in blauer Bluse habe angerufen. Dieser Arbeiter hat sich nicht ermitteln lassen.«
»Auf diesem Weg erhielten Sie die erste Nachricht von den Zusammenstößen?«
»Jawohl.«
»Übertriebene Nachrichten, wie es scheint?«
|577| »Stark übertriebene.«
»Sie faßten daraufhin Ihre Entschlüsse?«
»Nicht nur daraufhin. Die Rathauswache bestätigte mir, daß Zusammenstöße stattgefunden hatten.«
»Und Sie haben keine Vermutung, wer der Anrufer war?«
»Nein.«
»Was taten Sie nun?«
»Nachdem mir ein Beamter auf der Wache bestätigt hatte, daß es zu blutigen Zusammenstößen gekommen war, rief ich auf meinem Amtszimmer an
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