Bauern, Bonzen und Bomben
Berufung.«
»Hier. Morgen oder übermorgen bringen es die Parteiblätter. Wir stehen natürlich alle hinter dir. In den nächsten Tagen bekommst du auch einen Fackelzug von der Partei. Zum Abschied. Es wird alles seine Ordnung haben.«
»Na ja, schön«, sagt der Bürgermeister. »Aber jetzt wär ich euch doch sehr verbunden, wenn ihr euch drücken wolltet. Für heute abend hab ich euch lange genug gesehen.«
»Guten Abend, Genosse«, sagen sie.
»Ach scheiß«, sagt er.
10
Als sie gegangen sind, bleibt Gareis reglos in seinem Stuhl sitzen. Er denkt nach, er sieht die Stadt vor sich, in die er sechs Jahre Arbeit steckte. Die Häuser kommen, die er hat erbauen lassen. Er sieht den Schlafsaal vor sich im Säuglingsheim, mit den sechzig Kindern, die dort liegen in ihren Strampelsäcken, mit den Gesichtern, die so merkwürdig menschenähnlich sind und so erschütternd fremd.
Er erinnert sich, wie einmal ein Arzt zu ihm sagte: »Eigentlich alles unproduktive Arbeit, Bürgermeister. Das minderwertigste vom minderwertigen Material. Kinder von |601| Trinkern, luetische Kinder, Krüppel, schwachsinnige Kinder. In Sparta hätte man sie alle totgeschlagen.«
Es fällt ihm ein, wie er monatelang nicht über die Worte hat fortkommen können: »Eigentlich alles unproduktive Arbeit, Bürgermeister.«
Er denkt an die fünfhundert Gesichter in dieser Stadt, die er angetrieben hat zu dieser und zu andrer Arbeit, die er aufgejagt hat aus ihren Sofawinkeln, von ihren Schlummerkissen.
Er weiß, wenn er hier fortgeht, er wird nie wieder so arbeiten können. Wo er auch anfängt, sein Jugendwerk hat er hinter sich, seine Illusionen hat er hinter sich, der Elan ist vorbei. Er ist kein junger Mann mehr, er ist ein Mann dann wie alle.
Die Tür hat geknarrt, er hebt den Kopf und blinzelt müde.
Der Jünger steht dort, Assessor Stein. Schwarz, mager, nervös.
»Ich wollte Ihnen noch gute Nacht sagen, Bürgermeister.«
Gareis grübelt trübe. Was will der? Gute Nacht sagen? Warum will er gute Nacht sagen?
Und er erinnert sich, daß dieser Stein im Gerichtssaal den Blick gesenkt hielt, seinem Blick auswich.
Zugleich fällt ihm ein, daß der Genosse Koffka nicht diesen Namen genannt hat, als er von unzuverlässigen Zeugen sprach.
Er sieht rasch auf die Schuhe des andern: Sie sind von Lehm beschmutzt.
»Waren Sie auch über Land, Assessor?« fragt er langsam.
»Ja. Ich bin Ihnen nachgelaufen. Aber Sie waren schon weg.«
Der Bürgermeister tritt nah an seinen späten Besuch. Mit der Hand biegt er den Kopf des andern zurück, daß die Augen in vollem Licht liegen.
»Gehen Sie mit mir, Stein, wenn ich hier fortgehe?«
»Sie gehen nicht fort!«
»Gehen Sie mit?«
»Immer.«
»Gute Nacht, Stein«, sagt der Bürgermeister. »Gute Nacht, Assessor.«
|602| FÜNFTES KAPITEL
Zeugen und Sachverständiger
1
Neben der Turnhalle liegt ein kleines enges Zimmer: sonst die Garderobe, das Arbeitszimmer, der Zensurraum des Lehrers. Jetzt ist es Wartezimmer für die Zeugen geworden. Ein Dutzend Stühle hat man hineingesetzt, und da sitzen sie, Städter und Landleute, Polizisten und Bauern, und warten stundenlang.
Denn jetzt, am achten Verhandlungstage, ist die reinliche Disposition längst über den Haufen geworfen. Die Verteidigung stellt immer neue Anträge, der Staatsanwalt ist bösartig geworden und kämpft mit Ironie und Schärfe gegen die Stimmung im Saale an, die bauernfreundliche Stimmung.
Keine Verhandlung fängt mehr pünktlich an, das Gericht sitzt oft stundenlang vorher zusammen und berät über Anträge. Am ersten Tage waren die Pressevertreter um neun Uhr gekommen, am zweiten um neun Uhr fünfzehn, jetzt fahren sie abends nach Stettin und kommen erst mit dem Zehnuhrzuge, kommen oft auch dann noch zu früh.
Stuff freilich kommt nicht aus Stettin, er kommt aus Stolpe. Und nun bummelt er gemütlich dem Gericht zu. Er weiß, er braucht sich nicht zu beeilen, drüben auf der andern Straßenseite geht Assessor Meier, im eifrigen Gespräch mit dem Oberstaatsanwalt. Und kurz vor ihm marschiert der Justizrat mit Henning.
Manchmal bleiben die Leute stehen und sehen denen nach. Die halbe Stadt ist im Gerichtssaal gewesen und weiß, wie sie ausschauen, muß ihnen darum noch einmal nachsehen.
»Kiek, dat is de Henning.«
»Weet ick. Weet ick. Bün all den irsten Dag dor wesen.«
Kurz vor der Schule trifft Stuff den Polizeihauptwachtmeister |603| Hart, und wenn er auch kein Interesse mehr für Lokales aus Altholm hat, schwatzt er
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