Bauern, Bonzen und Bomben
dicht an einem fahrlässigen Falscheid vorbeigeschliddert – oder wie man das juristisch nennt –, und es kommt schließlich auf uns drei hier an, ob aus dem Vorbeischliddern nicht eine Anzeige wegen Meineides wird, wenn wir da den Zipfel vom Geheimbefehl aus deiner Tasche kommen sehen.«
Gareis hat sich sehr in der Gewalt, aber doch nicht so sehr, daß er jetzt nicht wütend nach der Jackettasche greift. Er stopft den Zipfel zurück, besinnt sich, reißt den Brief vor und legt ihn auf den Tisch. Er sieht die drei herausfordernd an.
»Du kannst«, sagt Koffka, »natürlich auf den Tisch hauen, du kannst uns mit den Köpfen aneinanderschlagen, aber du kannst uns nicht alle drei totschlagen. Ich will nicht einmal behaupten, daß dann morgen eine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft einpassieren würde. Aber du müßtest dem Gericht doch eine verdammt komische und unglaubhafte Geschichte erzählen, wenn du morgen wieder über den Geheimbefehl vernommen würdest, und jetzt plötzlich kennst du ihn.
|596| Ich denke mir so, die Geduld würde dann bei allen reißen. Staatsanwälte glauben nicht gerne an Märchen, und deine Geschichte klänge doch wie ein richtiges Märchen.«
»Was wollt ihr also?« fragt der Bürgermeister finster.
»Daß du abtrittst, Genosse Gareis, daß du völlig und lautlos abtrittst, daß du heute noch in unserer Gegenwart dein Abschiedsgesuch an den Magistrat unterschreibst. Das wollen wir, Genosse Gareis.«
»Ich trete nicht ab, ihr könnt mich anzeigen, meinethalben, aber ich trete nicht ab. Ich gehe nicht weg aus Altholm! So nicht.«
»Wie denn? Mit Handschellen?«
Der Bürgermeister lacht wütend. »Ihr denkt, ihr seid Schlauköpfe. Ihr denkt, ihr habt mich. Aber ich habe Zeugen für das, was ich gesagt habe. Piekbusch kann gehört werden, Stein kann gehört werden. Mir kann keiner was.«
»Ich glaube nicht, daß Piekbusch grade ein guter Zeuge für dich sein wird.«
Der Bürgermeister braust auf. »Ich kenne Piekbusch seit Jahren. Piekbusch ist treu.«
Die drei lachen, sie lachen jeder für sich, jeder auf seine Art, es klingt nicht sehr gut.
»Wir wollen weiter nicht darüber reden«, sagt Koffka. »Wir wollen uns überhaupt nicht streiten. Sei vernünftig, Gareis, überlege dir fünf Minuten deine Lage, ruhig, und sage dann, daß wir recht haben. Wir lassen dann auch mit uns reden.«
Der Bürgermeister sieht die drei an. Es liegt etwas Hoffnungsloses in seinem Blick. Dann steht er auf und beginnt hin und her zu wandern.
Die sitzen und rauchen.
Plötzlich bleibt der Bürgermeister stehen. »Koffka«, sagt er, »oller Genosse, hör zu. Ich habe Mist gemacht. Ich habe immer gedacht, es ginge gut aus. Es ist schiefgegangen. Aber tausend Sachen gehen schief aus, darum kann man nicht jeden in die Wüste schicken.
|597| Ihr kriegt keinen wieder her wie mich. Denke nach, was ich in den sechs Jahren für die Stadt und für die Partei geleistet habe. Was war Altholm, als ich kam? Ein Saustall. Heute, frage in der ganzen Provinz, laß dir sagen, wieviel Leute aus dem Reich gereist kommen, weil Altholm sozial mustergültig ist.
Denk an unser Altersheim mit dem großen Gutsbetrieb und der Schule zur Umstellung erwerbsloser Industriearbeiter auf die Landwirtschaft. Denk an unser Säuglingsheim. An das Kinderheim. An das Ledigenheim. An das Lehrlingsheim. Denke daran, daß es in der Stadt Altholm keine Fürsorgeerziehung mehr gibt, daß wir jetzt die Kinder behalten und Menschen aus ihnen machen.
Denk an die Badeanstalt, an das Stadion, an die neue Feuerwache. Und denke daran, daß wegen all dieser Dinge die Schulden der Stadt nicht so sehr viel größer geworden sind, daß ich das Geld, Mark für Mark, Hunderttausende, zusammengeschnorrt habe.
Wer kann das noch? Das fällt alles zusammen, wenn ihr mich absägt. Dann kosten plötzlich all die Anstalten wieder Geld, dann werden sie zugemacht, verkleinert, ich weiß das doch. Dann kommen die Kinder wieder in die Anstalten der Provinz oder zu versoffenen Vätern, schludrigen Müttern, in Pflegestellen, die nur den eigenen Beutel pflegen. Kannst du das verantworten, Koffka?«
»Wenn man dich so reden hört, Genosse Gareis, weiß man wieder, warum man dich so lange gehalten hat und deine Wippchen mitangesehen. Aber es hilft nichts, Gareis, es ist alle. Es geht nicht mehr.
Die kommunalen Wahlen stehen vor der Tür. Bleibst du hier, verliert die Partei mindestens fünfzig Prozent ihrer Stimmen.«
»Mehr. Siebzig«, grunzt Geier.
»Auch
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