Bauernjagd
ertragen. Und
doch waren Sie an ihn gekettet. Es musste ja eines Tages dazu kommen, dass
einer von Ihnen durchdreht und …«
Ihre Stimme donnerte durch den Vernehmungsraum. »Seien Sie still!
Ich habe meinen Mann nicht ermordet!«
Doch Hambrock fuhr mit leiser, eindringlicher Stimme fort. »Er hat
den Deckel seiner Güllegrube geöffnet und sich an den Betonrand gestellt, um
den Abfluss zu beobachten. Nur ein winzig kleiner Stoß, und es wäre vorbei.
Vielleicht hatte sein Mörder ja gar nicht vorgehabt, ihn zu töten. Vielleicht
konnte er nur der Versuchung nicht widerstehen. Es war eine einmalige
Gelegenheit.« Seine Stimme war kaum mehr zu hören. »War es so, Frau Tönnes?
Konnten Sie der Versuchung nicht widerstehen?«
Sie antwortete nicht.
»War es so, Frau Tönnes?«
Ihre Stimme war eiskalt. »Nein. So war es nicht.«
Hambrock betrachtete sie.
»Er hat einfach nicht aufgepasst, dieser Trottel. Er war so ein
gottverdammter Tollpatsch. Hätte er nur aufgepasst, dann wäre das alles nicht
passiert.« Sie fixierte ihn. »Ich verstehe gar nicht, was diese Befragung soll.
Die Polizei hat doch bereits festgestellt, dass es ein Unfall war.«
Hambrock fragte sich, ob er tatsächlich geglaubt hatte, ihren Panzer
durchbrechen zu können. Er dachte an das, was Henrik Korb über ihre Jagdwaffen
gesagt hatte, und wechselte das Thema.
»Warum haben Sie Schüsse abgefeuert, als die Streifenbeamten vor
Ihrer Tür auftauchten? Sie haben zwar auf den Boden geschossen, aber ein
Irrläufer hätte gereicht, um einen der beiden zu verletzen, vielleicht sogar zu
töten.«
»Ich wollte meine Ruhe.«
»Es waren Polizisten, keine Versicherungsvertreter. Sie wollten
Ihnen nur ein paar Fragen stellen.«
»Sie hatten nichts auf meinem Grundstück zu suchen. Ich habe nichts
verbrochen. Ich will nur meine Ruhe.«
»Und deshalb haben Sie nach dem Jagdgewehr gegriffen und auf
Menschen geschossen? Hielten Sie das nicht für etwas übertrieben?«
»Sie sollten mich einfach in Ruhe lassen. Ist das denn zu viel
verlangt?« Sie verschränkte ihre dicken Arme.
Hambrock schob seine Unterlagen zusammen.
»Also gut. Sie können gehen.«
»Wie bitte?«
»Es liegt kein dringender Tatverdacht mehr gegen Sie vor. Es gibt
also keinen Grund, Sie weiter festzuhalten.«
Verständnislos starrte sie ihn an.
»Wir haben uns die Jagdwaffen Ihres verstorbenen Mannes angesehen.
Er hat seine Waffen nicht sonderlich gepflegt, habe ich recht?«
Sie schien nicht zu begreifen. »Er ging schon seit Jahren nicht mehr
auf die Jagd.«
»Als die Kollegen bei Ihnen vor der Tür auftauchten, haben Sie sich
einfach irgendeine Waffe aus dem Schrank gegriffen, oder?«
»Und Munition. Ich weiß ja, wie man die Waffen lädt.«
»Richtig. Sie haben aber Ewalds Büchse gewählt, Frau Tönnes. Mit
einer Büchse lassen sich keine Schrotkugeln verschießen. Dazu hätten Sie die
Flinte nehmen müssen.«
»Aber …«
»Heinrich Uhlmann wurde mit einer Schrotflinte erschossen.
Inzwischen haben wir festgestellt, dass aus der Schrotflinte Ihres Mannes seit
einiger Zeit nicht mehr geschossen wurde. Im Inneren des Laufs hat sich Rost
gebildet.«
»Rost?«
»Ganz genau. Den wir dort nicht gefunden hätten, wenn heute Mittag
ein Schuss aus der Waffe abgegeben worden wäre. Heinrich Uhlmann wurde also
nicht mit einem der Jagdgewehre Ihres Mannes erschossen. Und sollten sich keine
weiteren Gewehre in Ihrem Besitz befinden, heißt das, dass vorerst kein
dringender Tatverdacht mehr gegen Sie vorliegt.«
»Ich muss nicht zurück in die Zelle?«
»Nein, zumindest heute nicht. Ich mache Sie jedoch darauf aufmerksam,
dass Sie sich uns zur Verfügung halten müssen. Außerdem wird Ihr Verhalten
Konsequenzen haben. Sie hätten Ewalds Waffen nach seinem Tod abgeben müssen.
Das ist unerlaubter Waffenbesitz. Und dann ist da natürlich noch der Widerstand
gegen die Staatsgewalt.« Er seufzte. »Am besten besorgen Sie sich für diese
Dinge einen Anwalt. Aber das hat Zeit bis Montag. Für heute wär’s das.«
Es dauerte eine Weile, bis sie reagierte. Dann nickte sie langsam,
schob ihren Stuhl zurück und erhob sich. »Gut. Dann gehe ich nach Hause.«
»Wenn Sie möchten, kann ich Sie von einem Streifenwagen nach Hause
bringen lassen«, schlug Hambrock vor.
Doch da war sie bereits durch die Tür verschwunden.
8
Am Montagmittag sammelte Annika Emma am Kindergarten ein
und machte auf der Rückfahrt einen kleinen Umweg, um Frau Röttger einen Besuch
abzustatten. Clemens hatte
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