Bauernjagd
Kopf durch den Türspalt. Sie
trug einen ölverschmierten Overall, ihr Haar war unter einer Baseballkappe
verborgen. Das musste Marita sein, seine Cousine zweiten Grades.
Sophia deutete auf ihre Gäste. »Das sind Bernhard Hambrock und Heike
Holthausen von der Münsteraner Kriminalpolizei. Sie sind wegen des Mordes an
Heinrich Uhlmann hier. Bernhard kennst du noch, er ist der Älteste von deinem
Onkel Bernhard aus Vennhues. Früher, als ihr noch kleiner wart, waren wir dort
ein paar Mal zu Besuch.«
Marita schien sich genauso wenig an ihn zu erinnern wie umgekehrt.
Dennoch nickte sie ihm freundlich zu.
»Hallo, Bernhard. Ich bleib lieber hier draußen stehen, ich will
nichts schmutzig machen.« Dann wandte sie sich an Ada. »Hast du schon
gefüttert? War alles in Ordnung?«
»Alles bestens. Norma ist kurz davor zu kalben. Heute Nacht,
spätestens morgen früh, denke ich.«
»Gut. Hilfst du mir beim Melken?«
Zu Hambrock sagte sie: »Tut mir leid, Bernhard. Du hast mit deinen
Ermittlungen bestimmt ganz andere Sorgen. Trotzdem müssen die Kühe gemolken
werden, sie sind schon überfällig. Ich muss dir also Tante Ada entführen.«
»Kein Problem. Wir sind ohnehin so gut wie fertig.«
Tante Ada stand auf, um hinauszugehen. Hambrocks Blick traf auf
ihren. Der Streit von neulich Abend hing noch immer unausgesprochen zwischen
ihnen. Er setzte ein versöhnliches Lächeln auf. »Den Rest können wir bestimmt mit
Sophia besprechen.«
Tante Ada nickte. »Das denke ich auch.« Sie drehte sich um und
folgte ihrer Nichte in die Diele.
Sein Diensthandy begann zu klingeln. Es war Henrik Korb.
»Hast du dir eigentlich die Waffen von Hedwig Tönnes genauer
angesehen?«, fragte er.
»Ehrlich gesagt, noch nicht. Ich habe sie nur sicherstellen lassen.
Ist denn etwas damit?«
»Das kann man wohl sagen.« Henrik Korb machte eine Pause, wie um die
Spannung zu steigern, dann fragte er: »Sitzt du gerade?«
Draußen war es dunkel geworden. Die Luft war herbstlich
kühl, auf den Wiesen bildete sich Nebel. Marita war bereits in den Melkstand
geklettert. Die Tür neben der Melkkammer stand einen Spalt weit offen, ein
schmaler Lichtstrahl fiel auf den Hof.
Ada ging zur Scheune, um Shakira, eine der älteren Kühe, zum
Melkstall zu bringen. Sie lag in einem winzigen Bereich der Scheune, den alle
nur die Krankenstation nannten. Dabei war Shakira nicht wirklich krank, sie benahm
sich ganz einfach nicht gut in Gesellschaft anderer Kühe. Deshalb kam sie immer
dann, wenn er nicht gebraucht wurde, in den Krankenstall und wurde nur zum
Melken zu den anderen Kühen gebracht.
Ada zog die Brettertür auf und hantierte am Riegel des Eisengatters.
Süßherber Dunggeruch schlug ihr entgegen. Shakira lag auf dem Stroh, blickte
Ada gelangweilt an und rührte sich nicht.
»Steh schon auf, Shakira! Es geht zum Melkstall.«
Der Riegel klemmte. Ada zerrte daran herum und versuchte ihn zu
lösen, als plötzlich etwas in ihrem Augenwinkel auftauchte. Hinter ihr war
jemand. Ein Schatten, der sich über den Hof bewegte.
Sie drehte sich um. Doch der Hof war völlig verwaist. Suchend ließ
sie den Blick zwischen den Gebäuden schweifen, doch nirgends war etwas zu
sehen. Marita war bei der Arbeit, im Melkstall dröhnten die Maschinen. Sonst
blieb alles still.
Dabei hätte sie schwören können, etwas gesehen zu haben.
Eine der Katzen huschte durch die Tennentür und schlich auf leisen
Pfoten über den Hof. Du wirst langsam verrückt. Siehst schon Gespenster, sagte
Ada sich und widmete sich wieder dem Gatter. Der Riegel glitt schließlich zur
Seite, und sie zog es weit auf.
»Jetzt komm schon, Shakira.«
Doch die alte Kuh blickte sie nicht einmal an.
Auf der Straße näherte sich ein schwaches Licht. Ada klopfte sich
die Hände sauber und ging neugierig zur Auffahrt. Es war Alwin Kötters, der
seine Runde auf dem Fahrrad drehte.
Sie hob die Hand zum Gruß, den er klingelnd erwiderte. Seit er in
Rente war, radelte Alwin täglich mehrere Kilometer, um sich fit zu halten, wie
er immer beteuerte. Tatsächlich aber war er unterwegs, weil es ihm zu Hause zu
langweilig war und er auf diese Weise überall in der Bauernschaft stehen
bleiben und einen Schwatz halten konnte.
Ada redete nicht gern mit ihm. Er war neugierig wie ein altes
Waschweib. Aber sie wollte sich mit den Menschen in der Bauernschaft gut
stellen. Das hatte sie schon als junge Frau gelernt. Damals war ihr früh klar
geworden, dass sie nicht heiraten wollte. Zu der Zeit brauchte es noch
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