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Bauernjagd

Bauernjagd

Titel: Bauernjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Holtkötter
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gemeint, dass seine Frau heute bestimmt wisse, ob
aus dem Interview etwas werden würde oder nicht.
    »Warte hier, ich bin gleich wieder da«, sagte sie zu Emma, während
sie ihren Gurt löste. »Ich muss nur kurz etwas bei Frau Röttger abholen. Wir
fahren gleich weiter.«
    Dann sprang sie aus dem Wagen, winkte Emma durch die Heckscheibe zu
und lief an den großen Maschinenhallen vorbei zum Wohnhaus. Die Röttgers lebten
in einem hübschen und liebevoll renovierten Bauernhaus, das allerdings inmitten
der Industriehallen im Fertigbaustil ein wenig deplatziert wirkte. Annika trat
an die verzierte Eichentür und klingelte.
    Es dauerte nicht lange, bis Gabriele Röttger öffnete. Sie sah nicht
gut aus. Ihr Gesicht war blass, die Augen rot gerändert. Offenbar hatte sie in
den letzten Tagen nicht viel Schlaf bekommen.
    »Hallo, Annika.« Sie lächelte bemüht. »Ich habe dich lange nicht
mehr gesehen.«
    »Das stimmt. Ich sollte häufiger vorbeikommen.«
    Früher war Annika beinahe jeden Tag dort gewesen. Doch inzwischen
traf sie Clemens nur noch zufällig: auf dem Feld, im Landhandel oder in der
Gastwirtschaft. Sie konnte Gabriele Röttger nicht besonders gut leiden, was auf
Gegenseitigkeit beruhte. Am liebsten war sie mit Clemens allein, und deshalb
kam sie nur noch selten hierher.
    »Du kommst wegen dem Interview mit Clemens’ Cousine, nicht wahr? Ich
habe dir ihre Telefonnummer aufgeschrieben.«
    Sie ging zu dem schmalen Telefontisch und kehrte mit einem Zettel
zurück.
    »Hast du denn auch mit ihr gesprochen?«, fragte Annika.
    Gabriele bedachte sie mit einem kühlen Blick.
    »Natürlich. Sie hat gesagt, sie will eigentlich nicht mit der
Zeitung reden, aber wenn Clemens so viel daran liegt, würde sie eine Ausnahme
machen.«
    Es klang wie ein Vorwurf. Annika nahm den Zettel und bedankte sich
höflich, dann steckte sie ihn in die Hosentasche.
    »Bevor ich es vergesse«, sagte sie. »Ich soll dich von Tante Ada
fragen, ob sie sich euren Rasenmäher ausleihen kann. Bei unserem ist der Motor
kaputt, und der Rasen muss dringend geschnitten werden.«
    »Kein Problem. Will sie den Schlepper haben?«
    »Nein, damit kommt sie nicht klar. Ihr habt doch auch noch diesen
kleinen zum Schieben?«
    »Schon. Aber da muss ich erst nachsehen, wo der steht. Sag ihr, sie
soll heute Nachmittag vorbeikommen, dann kann sie ihn abholen.«
    »Also gut.«
    Die beiden Frauen standen sich gegenüber. Es gab nichts mehr zu
sagen.
    »Dann werde ich mal«, sagte Annika.
    »Ja, bis dann, mach’s gut.«
    Gabriele Röttger schloss die Tür. Annika ging zurück zum Auto. Emma
hielt den Kopf verrenkt und starrte zur anderen Straßenseite hinüber, als gäbe
es dort etwas Wichtiges zu sehen. Annika folgte ihrem Blick.
    Der Lastwagen der Molkerei. Er stand gegenüber, auf dem Hof von
Hubert Höing. Der silberne Tank funkelte in der Sonne, vom Fahrer war nichts zu
sehen.
    Annika sah wieder zu Emma, doch die hatte nur Augen für den Laster.
War es möglich, dass Klooke neben ihr saß? Und etwas über den Wagen sagte, das
keiner wissen durfte?
    Annika nahm sich ein Herz, dann setzte sie sich hinters Steuer und
ließ ihre Stimme unbekümmert klingen.
    »Na, Emma? Was siehst du da?«
    Das Kind strahlte sie an. »Lotti!«
    »Wie bitte?«
    »Da ist Lotti!« Sie deutete auf den Milchtank, auf dem die Comiczeichnung
einer Kuh mit Sonnenbrille abgebildet war. Darunter stand: »Lotti sagt:
Schulmilch ist cool!«
    Annika ernüchterte. »Ist euer Kindergartenkakao auch von Lotti?«
    »Ja. Und wir haben eine Lotti-Puppe in der Spielecke, die ist sooo
groß.« Sie streckte die Arme zum Autodach.
    »Ach, so ist das.« Annika musste lachen. Sie wendete den Wagen und
fuhr vom Hof.
    Nachdem Annika fort war, ging Gabriele Röttger zum Schlüsselkasten
und holte den Schlüssel für die große Halle hervor. Auf dem Weg nach draußen
zog sie eine Strickjacke über. Es war kalt geworden, der Herbst war nun zu
spüren.
    Sie dachte an Clemens. Wie sie es seit dem Anschlag beinahe
unentwegt tat. Sie hatte kaum geschlafen in den letzten Tagen. Ein paar
Millimeter weiter, und das Messer hätte ihn getötet. Dann wäre alles vorbei
gewesen. Und sie wäre jetzt mit allem allein.
    Sie ließ die großen Rolltore der Halle hinter sich und ging zu dem
kleinen Seiteneingang. Würde sie es jemals wieder ertragen können, ihren Mann
hinaus auf die Maisfelder fahren zu sehen? Wenn er mit seinem fröhlichen
Grinsen im Führerhäuschen saß und zum Abschied hupte, bevor er vom Hof fuhr?
    Die

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