Bauernjagd
zuletzt ihren Ehemann. Trotzdem durfte er nicht ignorieren,
dass sie momentan die einzige Verdächtige war, die sie hatten. Auch wenn er
selbst nicht an ihre Schuld glaubte.
Sie betrat mit hölzernen Bewegungen sein Büro, begrüßte ihn knapp
und nahm dann wortlos Platz. Hambrock konnte in ihrem Gesicht weder Trauer noch
Verzweiflung erkennen. Im Gegenteil, ihre Züge wirkten hart. Es ging eine
seltsame Kälte von ihr aus.
»Danke, dass Sie gekommen sind«, begann er. »Ich möchte mit Ihnen
noch einmal über Ihren Mann reden. Seit seinem Mord haben wir …«
»Er wurde nicht ermordet.«
»Frau Uhlmann, es war kein Unfall. Das wissen Sie auch.« Sie
antwortete nicht, und er fügte hinzu: »Keiner der anderen Jäger hat den Schuss
abgegeben, auch nicht versehentlich. Das steht inzwischen fest. Außerdem wurde
mit Munition geschossen, die bei der Fasanenjagd nicht verwendet wird.«
»Es war ein Unfall.« Ihre Stimme war kalt und entschlossen.
Er lehnte sich zurück. »Sie haben uns nicht die Wahrheit gesagt, als
wir Sie nach dem Verhältnis zu Ihrer Schwester gefragt haben. Warum haben Sie
abgestritten, dass es Streitigkeiten in der Familie gab?«
Sie starrte mit unbewegter Miene zu Boden.
»Frau Uhlmann, ich habe Sie etwas gefragt.«
»Das geht Sie nichts an.«
»Ich fürchte, es geht mich sehr wohl etwas an. Ihr Mann …«
»Es war ein Unfall.«
Hambrock sah sie durchdringend an. Es wurde still in seinem Büro.
Von ferne drang das Rauschen des Stadtverkehrs zu ihnen hinein.
»Ich habe eine gute Ehe geführt«, behauptete sie. »Und ich habe
meine Schwester geliebt, auch wenn wir manchmal Probleme miteinander hatten.
Wir waren eine gute Familie. Jeder war für den anderen da, so wie es sich gehört.«
Ihr Gesicht schien wächsern und leer. »Mehr müssen Sie nicht wissen.«
»Wo waren Sie am 24. Juli zwischen zwölf und vierzehn Uhr?«
Falls die Frage etwas in ihr auslöste, ließ sie es sich nicht
anmerken.
»Ich war auf dem Schützenfest.«
»Die ganze Zeit über?«
»Nein. Nach dem Festgottesdienst bin ich nach Hause gefahren, um das
Mittagessen vorzubereiten. Heinrich kam nach dem Frühschoppen dazu, und unsere
Töchter waren ebenfalls da. Wir haben gegessen, und danach habe ich Sahne
geschlagen und die Torten für die Kuchentheke fertiggestellt. Die Landfrauen
haben den Kuchenverkauf organisiert, und da habe ich natürlich mitgeholfen.«
»Wann sind Ihre Töchter nach Hause gekommen?«
Sie hob die Schultern. »So gegen eins.«
»Sie hatten also Gelegenheit, unbemerkt zum Hof von Ewald Tönnes zu
fahren.«
»Ich bin nicht dort gewesen. Und Sie sollten sich schämen, so etwas
auch nur zu denken.«
Und so ging es immer weiter. Irgendwann hatte es Hambrock gereicht,
und er hatte sie nach Hause geschickt.
Er stieg in sein Auto. Bei einem Chinesen gegenüber dem Theater
besorgte er sich eine Portion gebratene Nudeln. Dankend lehnte er die Stäbchen
ab, die der Verkäufer ihm über den Tresen reichte, und ließ sich stattdessen
eine Plastikgabel geben. Dann fuhr er weiter zu einer freien Parkbucht
unterhalb einer Platane, den Blick auf den Roggenmarkt mit seinen in der
Nachkriegszeit rekonstruierten Mittelalterfassaden. Die Sonne schien durch die
Windschutzscheibe und heizte den Wagen auf. Er spürte, wie er sich langsam
entspannte. Vorsichtig packte er das Essen aus und nahm seine Gabel, als das
Handy zu läuten begann. Es war Heike.
»Hallo, Hambrock! Ich sollte dich anrufen?«
»Ja.« Er balancierte das chinesische Essen auf den Beifahrersitz.
»Ich wollte hören, wie es gelaufen ist. Du bist jetzt durch mit den Höfen,
oder?«
»Ja, ich sitze gerade an den Berichten.«
»Hat sich was Neues ergeben?«
»So gut wie nichts. Außer dass jemand einen Radfahrer gesehen hat,
der während des Schützenfests auf dem Weg zum Hof von Ewald Tönnes unterwegs
war.«
»Ein Radfahrer? Von wem hast du das?«
»Von einem der Künstler.«
Er dachte darüber nach. »Das kann alles Mögliche bedeuten.
Vielleicht hat jemand bei dem schönen Wetter einfach einen Ausflug gemacht.«
»Ja, das war auch mein Gedanke.«
»Da ist noch etwas anderes, worum ich dich bitten möchte. Du
erinnerst dich an die Frauen, die auf dem Schützenfest den Kuchenstand gemacht
haben, oder?«
»Natürlich.«
»Kannst du noch mal mit ihnen reden? Ich möchte wissen, wie lange
Renate Uhlmann am Vormittag im Festzelt geblieben ist. Außerdem interessiert
mich, ob den Frauen etwas an Frau Uhlmann aufgefallen ist. Vielleicht
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