Bauernjagd
bist du?«
Sie bekam keine Antwort. Eilig ging sie nach oben und blickte ins
Spielzimmer. Auch dort war alles verwaist.
»Emma! Sag doch was!«
Sie versuchte es im Kinderzimmer. Die Tür war nur angelehnt, Emmas
Stimme war gedämpft zu hören.
»Nein! Geh weg!«
Annika drückte die Tür vorsichtig auf. Das Mädchen saß zusammengekauert
vor dem Bett, presste sich die Hände gegen die Ohren und kniff die Augen zu.
»Hör auf!«, rief die Kleine. »Hör auf!«
Annika glitt neben ihr auf den Boden und nahm ihr behutsam die Hände
von den Ohren.
»Was machst du denn hier?«
Emma blickte Annika erschrocken an.
»Was ist denn nur los?«
Der Blick des Mädchens verschloss sich. Es sah sich um und zog die
Schultern ein. Dann presste es die Lippen aufeinander und blickte betreten zu
Boden.
»Du brauchst dich nicht zu schämen. Sag einfach, was los ist.«
Emma ließ sich Zeit mit der Antwort. »Ich will nicht, dass Klooke da
ist. Klooke soll weggehen.«
»Macht sie dir etwa Angst? Was sagt sie denn? Womit will sie dir
Angst machen?«
»Geht es etwa um deine unsichtbare Freundin?« Marita war in der Tür
aufgetaucht. Frisch geduscht und in Jeans und Pullover. Sie betrat das Zimmer.
»Komm mal her, mein Engel.« Sie nahm Emma in den Arm und drückte
sie. »Du brauchst keine Angst zu haben. Wenn du nicht mit Klooke spielen
willst, musst du ihr das einfach sagen.« Sie gab dem Mädchen einen Kuss auf die
Stirn. »Du musst nichts tun, was du nicht willst.«
Emma sah sie mit großen Augen an. Maritas Stimme wurde flüsternd.
»Du bist der Boss, hörst du? Du allein kannst bestimmen, wer mit dir spielt und
wer nicht. Hast du das verstanden?«
Sie wartete, bis ihre Tochter zaghaft nickte. »Dann ist ja gut.« Sie
drückte Emma, die ihre Ärmchen um Maritas Hals schlang. »Und jetzt gehen wir
essen«, beendete sie das Thema und trug Emma hinaus.
In der Tür warf sie Annika ein Lächeln zu und verdrehte die Augen.
Noch so eine Verrückte, schien ihr Blick zu sagen.
Annika folgte ihnen wortlos. Bevor sie die Tür hinter sich schloss,
warf sie noch einen Blick ins Zimmer. Doch außer Emmas Sachen war nichts zu
sehen.
Unten an der Haustür klingelte es. Das war Bernd, keiner sonst würde
die Klingel benutzen. Sogar der Postbote ging über die Tenne ins Haus, wenn er
ein Päckchen für sie hatte.
Tante Ada öffnete. Bernd begrüßte sie höflich mit Handschlag.
»Ich komme runter!«, rief Annika. »Eine Sekunde!«
Marita folgte ihr in die Diele.
»Wo wollt ihr denn eigentlich hin?«, fragte sie.
»Zum Spökenkieker.« Das war eine der Dorfkneipen in Altenberge.
Marita hob eine Augenbraue. »Nicht gerade der beste Ort für ein
Date. Warum geht ihr nicht ins Mixed?«
»Weil es kein Date ist. Wir
wollen an einem Artikel arbeiten«, erklärte Annika.
Bernd grinste. »Jedenfalls ist es nicht nur ein Date.«
Marita und Tante Ada lächelten. Ja, treibt nur alle eure Späße,
dachte Annika, während sie ihre Jacke zuzog. Plötzlich fiel ihr etwas ein.
»Ich habe was vergessen«, sagte sie und machte auf der Treppe kehrt.
»Bin sofort wieder da.«
Sie rannte in ihr Zimmer und schnappte sich die Geldbörse vom
Schreibtisch. Für alle Fälle, dachte sie. Vielleicht gehen wir im Anschluss ja
tatsächlich noch etwas trinken. Auf dem Flur vor den Kinderzimmern traf sie auf
Emma, die ihr gefolgt war. Sie stand da und sah sie mit großen Augen an.
»Gute Nacht, Emma.« Annika gab ihr einen Kuss. »Schlaf schön.«
»Du sollst nicht weggehen.«
»Wie bitte?«
»Du sollst hierbleiben. Da, wo du hingehst, ist es dunkel. Und kalt.
Da kommst du nicht wieder weg.«
Annikas Herz setzte einen Schlag aus. »Was sagst du da?«
Aber bevor sie antworten konnte, tauchte Marita im Flur auf.
»Wo bleibst du denn, Emma? Das Essen ist fertig.«
»Du sollst nicht weggehen«, flüsterte Emma noch einmal und ließ sich
dann von ihrer Mutter nach unten tragen. Auf dem Treppenabsatz hob sie den
Kopf. Sie blickte Annika an, als trüge sie die Verantwortung für die gesamte
Welt auf ihren kleinen Schultern.
Marita bemerkte nichts davon. Sie wünschte fröhlich einen schönen
Abend und verschwand mit dem Kind in der Küche. Annika taumelte benommen zur
Treppe. Am liebsten wäre sie jetzt zu Hause geblieben. Aber was sollte sie
Bernd sagen? Dass die kleine Emma mit den Toten sprach und deshalb wusste, dass
bei Vesting etwas passieren würde?
Sie hörte selbst, wie lächerlich das klang. Und im Grunde glaubte
sie nicht an so etwas.
Bernd
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