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Bauernjagd

Bauernjagd

Titel: Bauernjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Holtkötter
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der Scheune war die Reifenschaukel, dort würde
er ihn und die anderen Jungen aus der Nachbarschaft finden. Emma hingegen blieb
auf ihrem Kindersitz und blickte ein wenig scheu zum Haus hinüber.
    »Frau Lütke-Woltering kennst du doch«, sagte Annika aufmunternd.
»Sie hat bestimmt wieder einen Zitronenkuchen gebacken. Na, ist das was?«
    Emma rutschte auf dem Sitz herum. »Ich möchte lieber mit euch
mitkommen.«
    »Das geht leider nicht, mein Engel.« Marita beugte sich nach hinten
und öffnete den Anschnallgurt. »Wir gehen zu einer Beerdigung. Das habe ich dir
doch erklärt. Der Onkel Tönnes ist jetzt beim lieben Gott, und die Erwachsenen
gehen in die Kirche, um für ihn zu beten.«
    Das Kind blickte auf seine Füße. »Ihr sollt da nicht hin.«
    »Also wirklich, Emma. Wir sind doch in zwei Stunden wieder hier. So
schlimm ist das nicht.«
    »Onkel Tönnes war ein böser Mensch«, murmelte das Kind gerade so
laut, dass sie es hören konnten.
    »Wer sagt denn so etwas?«, wollte Marita wissen. Irgend-wo musste
die Kleine diese Worte aufgeschnappt haben.
    »Wer das sagt, habe ich gefragt.«
    Emma zögerte. Verlegen starrte sie zu Boden.
    »Klooke«, sagte sie dann leise.
    Marita stöhnte auf. »Du bist langsam aus dem Alter raus, in dem man
unsichtbare Freunde hat, Emma.« Sie wechselte einen Blick mit Annika und deutete
ein Lächeln an. »Richte Klooke bitte von mir aus, dass das nicht stimmt. Onkel
Tönnes war kein böser Mensch. Und ich möchte auch nicht, dass du Frau
Lütke-Woltering oder sonst jemandem davon erzählst. So, und jetzt raus mit
dir.«
    Sie öffnete die Fahrertür und stieg aus, um Emma hinten herauszulassen.
Das Kind blickte Annika ernst ins Gesicht.
    »Ich brauch Klooke nichts sagen. Sie hat alles gehört.«
    Annika rang sich ein Lächeln ab, das sofort in sich zusammenfiel,
als Emma ihr den Rücken zukehrte. Diese Klooke war ihr unheimlich. Der Name war
eines der ersten Worte gewesen, die Emma sprechen konnte, gleich nach Mama und Ball . Und schon ebenso
lange gab es dieses unsichtbare Wesen, mit dem Emma heimlich Zwiesprache hielt,
ganz egal, was sie gerade tat. Keiner sonst in der Familie nahm Anstoß daran,
im Gegenteil, sie trieben alle ihre Späße damit. Alle außer Annika.
    Irgendwann einmal hatte sie im Kinderzimmer gesessen und Emma
gefragt: »Wo lebt Klooke eigentlich? Schläft die bei dir im Bett?« Emma hatte
daraufhin zu Boden geblickt und die Antwort hinausgezögert. Sie redete nicht
gerne mit Erwachsenen über Klooke, am allerwenigsten, wenn sie direkt darauf
angesprochen wurde. Doch schließlich hatte sie auf eine Stelle neben der
Dachschräge gedeutet und gesagt: »Klooke wohnt da in der Wand.«
    Das Kind konnte nicht wissen, dass sich hinter der Wand ein Hohlraum
verbarg. Als kurz vor ihrer Geburt der Dachstuhl renoviert worden war, hatten
Bauarbeiter eine alte Kammer entdeckt, die allen unbekannt gewesen war. Marita
hatte sie nach kurzem Zögern einfach wieder zumauern lassen, doch Annika hatte
sich gemerkt, wo sie sich befand – nämlich genau dort, wo Emma in jenem Moment
mit ihrem ausgestreckten Finger hingedeutet hatte.
    Mit einem leicht beklommenen Gefühl blickte sie dem Kind hinterher,
das von Frau Lütke-Woltering an der Haustür in Empfang genommen wurde. Marita
kehrte eilig zum Wagen zurück und setzte sich hinters Steuer.
    »Du liebe Güte, wir kommen zu spät.« Sie startete den Motor. »Sieh
mal ins Handschuhfach«, sagte sie, während sie den Wagen wendete. »Vielleicht
ist jetzt nicht der richtige Moment dafür. Aber was soll’s.«
    Annika öffnete mit gerunzelter Stirn das Fach und zog einen dünnen
Schnellhefter hervor. Sie blickte hinein.
    »Das sind Informationen zum Studiengang Publizistik«, sagte sie
verwundert. »An der Universität Münster. Was soll ich damit?«
    »Wäre das denn nicht was? Wo du doch den Job bei der Zeitung hast.
Das passt doch, oder?«
    »Ich bin eine Vierhunderteurokraft beim Lokalteil. Ich schreibe hauptsächlich
über Kinderschützenfeste, falls du es vergessen hast. Was hat das mit
ernsthaftem Journalismus zu tun?«
    »Ach, komm schon. Guck es dir wenigstens einmal an.« Marita schob
die Sonnenbrille zurück auf die Nase. »Mehr verlange ich gar nicht.«
    Annika betrachtete ihre Schwester, dann begann sie, in dem Hefter zu
blättern. Sie tat es Marita zuliebe, die es schließlich gut mit ihr meinte.
Doch Annika wollte nicht studieren, jedenfalls noch nicht.
    Sobald sie die Kirche erreicht hatten, schob sie den Hefter

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