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Bauernjagd

Bauernjagd

Titel: Bauernjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Holtkötter
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vorstellen? So
etwas kann man doch nicht machen. Man kann doch sein Kind nicht im Stich
lassen.«
    »Da haben Sie recht.«
    »Aalderk ist ein guter Junge, verstehen Sie? Wahrscheinlich der
beste, den ich je getroffen habe. Da ist so viel Gutes in seinem Herzen, er ist
gar nicht imstande, etwas anderes als Liebe für die Menschen zu empfinden. Er
begreift die Welt um sich herum nicht. Er begreift nicht, warum andere ihn
verletzen.« Seine Stimme wurde zu einem Flüstern. »Man kann doch sein Kind
nicht alleine lassen. Sie wusste doch, dass er das nicht versteht. Dass er
darunter schrecklich leiden wird. Und sein körperliches Leiden war doch schon
schlimm genug.«
    Es wurde still im Vernehmungsraum.
    »Wieso erschafft Gott so ein Wesen?«, fragte Vesting nach einer Weile.
»Warum legt er alles Gute in einen Menschen und versagt ihm dann die
Möglichkeit, sich zu wehren? Warum schafft er ein Wesen, das völlig schutzlos
ist und sein Leben lang unter Schmerzen leidet, die es nicht versteht. Können
Sie mir das erklären?«
    Eine Weile glaubte Hambrock, Vesting erwarte tatsächlich eine
Antwort von ihm. Doch dann schüttelte er den Kopf und senkte den Blick.
    »Es bringt mich um«, sagte er. »Wenn ich ihm doch wenigstens seine
Schmerzen nehmen könnte.«
    Die Trauer im Raum wurde erdrückend. Vesting hatte alles gesagt, was
er zu sagen hatte. Hambrock nannte die Uhrzeit und stoppte das Aufnahmegerät.
    »Wir machen eine kurze Pause«, sagte er. »Ich hole Ihnen einen
Kaffee.«
    Vesting dankte, und Hambrock verließ den Raum. Vor der Tür atmete er
durch. Heike wartete im Beobachtungsraum auf ihn.
    »Was denkst du über die Sache?«, fragte er.
    Sie wandte sich vom Spiegel ab. »Sieht nicht so aus, als würde er
eine Show abziehen.«
    »Nein, das denke ich auch nicht.« Er ließ sich auf einen Stuhl
sinken. »Sind die Fingerabdrücke schon abgeglichen worden?«
    »Ja«, sagte sie. »Nicht identisch.«
    Er nickte. »Das muss nichts bedeuten. Er kann einen Mittäter haben.«
    »Glaubst du wirklich …?«
    »Nein. Trotzdem sollten wir uns alle Optionen offen halten. Wir
müssen die Sache mit den Antiquitäten überprüfen.«
    »Ich werde mit Clemens Röttger sprechen.«
    Er blickte durch den Vernehmungsspiegel auf die zusammengesunkene
Gestalt von Melchior Vesting.
    »Und was hast du jetzt vor?«, fragte Heike.
    »Ich hole ihm einen Kaffee. Und dann werde ich die Befragung
weiterführen.«
    Er sagte das, obwohl er Vesting am liebsten nach Hause geschickt
hätte. Er machte Anstalten aufzustehen, doch Heike legte ihm die Hand auf die
Schulter.
    »Bleib ruhig sitzen«, sagte sie. »Ich besorge den Kaffee. Überleg
dir in Ruhe, wie du weitermachen willst. Kann ich dir einen mitbringen?«
    »Gerne.« Er lächelte dankbar. »Mit Milch und viel Zucker.«
    Den Kofferraum voller Einkäufe machte sich Annika auf den
Weg nach Hause. Sie fuhr mit dem Kombi ihrer Mutter vom Edeka-Parkplatz und bog
auf die Straße nach Erlenbrook-Kapelle. Schon bald hatte sie Altenberge hinter
sich gelassen. Die Herbstsonne schien durch die Windschutzscheibe, das getönte
Glas ihrer Sonnenbrille verlieh der Landschaft einen besonderen Glanz. Sie
fühlte sich, als führe sie durch den Süden Frankreichs.
    Morgen sollte die Beerdigung von Ludwig Schulze Ahlerkamp
stattfinden, wieder einmal würde die ganze Bauernschaft zusammenkommen. Mit
jeder Trauerfeier änderte sich die Atmosphäre. Die Menschen rückten zusammen,
wie um sich zu beweisen, dass das Leben stärker war als der Tod.
    Manfred Schulze Ahlerkamp richtete die Feier auf dem Hof von Clemens
Röttger aus. Die Maschinenhalle sollte geschmückt, Tische und Stühle aus dem
Lager des Schützenvereins geholt werden. Manfred wollte eine große Feier, er
hatte fast hundert Leute eingeladen. Annika war davon überzeugt, dass nicht
einer fehlen würde.
    Auf einem Stoppelfeld versuchten Grevings Kinder, einen Drachen
steigen zu lassen. Doch bei dem schwachen Wind wollte das nicht so recht
gelingen. Kurz darauf passierte sie das Maisfeld, in dem Clemens verunglückt
war. Die Stöcke der Maispflanzen ragten aus dem Boden, vom Häcksler zerrissene
Blätter lagen ausgedörrt in der Sonne.
    Was ist hier nur los?, fragte sie sich. Wann wird dieses Morden
endlich aufhören? Und wer kann hinter alldem stecken? Es fiel ihr schwer zu
glauben, dass jemand aus Erlenbrook-Kapelle diese Taten begangen hatte.
    Der Hof von Heinrich Uhlmann wirkte von Weitem verwaist. Renate ließ
sich nicht mehr blicken, Annika traf sie

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