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Bauernjagd

Bauernjagd

Titel: Bauernjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Holtkötter
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nur noch auf den Beerdigungen. Sie sah
aus wie ein Gespenst. Keiner wusste, was in ihr vorging.
    Annika war so in Gedanken vertieft, dass sie beinahe den Radfahrer
übersehen hätte. Im letzten Moment schlug sie das Lenkrad um und überholte. Es
war Alwin Kötters. Sie hupte und hob die Hand. Im Rückspiegel sah sie, dass
Alwin sie ebenfalls erkannt hatte. Er winkte ihr zu und geriet dadurch ins
Schlingern.
    Komischer Kauz, dachte sie. Selten war sie einem Mann begegnet, der
so neugierig war wie Alwin. Wenn der Mörder tatsächlich aus Erlenbrook-Kapelle
stammte, müsste Alwin ihn eigentlich kennen. Schließlich wusste er alles über
seine Nachbarn.
    Sie hatte die Auffahrt ihres Hofs erreicht und hupte kräftig. Marita
kam aus dem Haus gelaufen, um ihr beim Tragen der Einkäufe zu helfen.
    »Das hat ja lange gedauert«, begrüßte sie Annika. »Warst du noch Eis
essen?«
    »Ach, leck mich. Du kannst die Bierkisten tragen.«
    Während sie den Kofferraum öffnete, entdeckte sie Emma. Sie hockte
vor einer Stallwand und reihte ihre Puppen an der Mauer auf.
    »Sie spricht jetzt mit ihren Puppen«, sagte Marita. »Klooke scheint
fast vergessen zu sein.«
    »Ach, wirklich?«
    »Warum auch nicht? Sie ist langsam wirklich aus dem Alter raus. Ich
glaube, von Klooke hören wir nicht mehr viel.«
    »Ich bin gleich wieder da«, sagte Annika und ging hinüber zur
Stallwand.
    »Hallo, Emma.« Sie setzte sich zu ihr. »Sind das alles deine
Puppen?« Sie überblickte die Reihe. »Wo ist denn Pia? Darf deine Lieblingspuppe
gar nicht mitspielen?«
    »Pia darf sich nicht schmutzig machen«, erklärte Emma. »Sie muss
heute im Haus spielen.«
    »Ach so. Die Ärmste.«
    Annika überlegte. Vielleicht wäre es falsch, das Mädchen darauf
anzusprechen. Schließlich war es doch gut, wenn Klooke aus ihrem Leben
verschwand.
    Emma schien zu bemerken, dass Annika etwas Wichtiges sagen wollte.
Sie blickte auf und blinzelte gegen die Sonne. Annika holte Luft.
    »Du wusstest das mit der Grube, nicht wahr? Dass ich da gefangen
werde. Klooke hat dir das gesagt, oder?«
    Emma senkte den Blick. Sie nahm eine Puppe, strich ihr übers Haar
und setzte sie sorgsam zurück an ihren Platz.
    »Ich spiele nicht mehr mit Klooke. Sie macht mir Angst.«
    Annika spürte einen Kloß im Hals. Ihr schlechtes Gewissen machte
sich bemerkbar. Sie wollte Emma nicht damit quälen, trotzdem gab es da noch
eine Frage, auf die sie eine Antwort brauchte.
    »Mama sagt, wenn ich es nicht will, dann kommt Klooke nicht mehr zu
mir«, sagte Emma.
    »Ich weiß, mein Schatz. Damit hat sie auch recht.«
    Annika fühlte sich scheußlich. Aber sie bohrte weiter.
    »Klooke hat dir noch etwas gesagt, oder? Dass etwas Schlimmes
passieren wird. Damit hat sie doch nicht gemeint, dass ich in diese Grube
falle.«
    Emma schwieg. Annika hatte also recht behalten.
    »Was wird passieren? Was ist es, das so schlimm ist?«
    Sie fühlte die Bedrohung wie einen kalten Schatten über sich.
Plötzlich war sie sich gar nicht mehr sicher, ob sie wirklich eine Antwort
wollte.
    »Wird jemand…?« Sie verlor den Faden. Wie sollte man mit einem Kind
über Mord und Todschlag reden? Dafür gab es doch keine Worte. »Wird jemand …
von uns fortgehen?«
    Emma rührte sich nicht mehr. Sie schien nicht einmal mehr zu atmen.
    »Hat Klooke das zu dir gesagt? Dass jemand fortgehen wird? Für immer
fortgehen?«
    Annika starrte Emma an, doch die hielt weiterhin den Blick auf den
Boden gerichtet. Dann begann sie zu weinen. Eine Träne fiel vor ihr in den
Staub. Annika fühlte sich wie gelähmt. Ihr wurde schwarz vor Augen. Doch sie
kämpfte die aufkommende Panik nieder. Sie musste an Emma denken und alles
andere beiseite schieben. Vorsichtig nahm sie das Mädchen in die Arme.
    »Klooke hat das gesagt, weil sie dir wehtun wollte«, flüsterte sie.
»Sie wollte dich nur ärgern.«
    Emma klammerte sich an sie. »Klooke ist böse.«
    »Ja, das ist sie. Denk nicht mehr darüber nach. Es wird keinem von
uns etwas passieren. Das verspreche ich dir.« Sie strich ihr mit der Hand übers
Gesicht. »Alles ist gut«, flüsterte sie.
    Emma legte den Kopf an ihre Schulter. Annika ließ den Blick über den
Hof schweifen. Sie musste mit Tante Ada reden, ganz egal, was die über Klooke
dachte. Und mit Bernhard. Vielleicht konnte der ihnen helfen.
    Sie mussten einfach alle zusammenhalten. So war es immer gewesen.
Wenn sie zusammenhielten, konnte nichts geschehen. Dann konnte ihnen keiner
etwas antun.

19
    Gabriele Röttger räumte

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