Bauernsalat
Stimmen gehört, und ich habe zum Teil verstanden, was sie gesagt haben. Das ist einfach so.«
»Dann müßten Sie auch sagen können, ob Elmars Stimme dabei war.«
»Das hat mir der Herr Kommissar auch immer wieder gesagt. Aber dem ist nicht so. Das kann ich wirklich nicht sagen, ob es der Elmar war, der von unten gesprochen hat. Ich kann die undeutliche Stimme nicht zuordnen, obwohl ich sie seitdem noch hundertmal in meinem Kopf gehört habe. Ich kann nur eins sagen. Es war eine männliche Stimme«, erklärte Frau Wiegand selbstsicher. »Das weiß ich ganz genau.«
»Haben Sie denn vorher irgend jemanden auf dem Hof gesehen?« Alexas Stimme war voller Hoffnung. »Ich meine jemanden, der nicht zum Hof gehört?«
»Auch diese Frage mußte ich zigmal beantworten. Es tut mir leid, aber ich habe keinen Menschen getroffen.«
Auf dem Weg zum Auto gingen Alexa immer wieder die Sätze durch den Kopf, von denen Gertrud Wiegand ihr erzählt hatte. ’Ich habe nichts Schlimmes getan’, ’Laß mich in Ruhe und pack dich weg’, ’Laß die Leiter stehen’. Als sie schließlich im Auto saß, schrieb sie die Sätze auf einen Zettel, der im Handschuhfach lag. Außerdem noch ein paar Stichworte, die ihr wichtig erschienen. Bevor sie den Motor startete, öffnete sie das Fenster. Als sie schließlich den Schlüssel im Zündschloß drehte, wurde ihr eine Sache klar: Sie glaubte Gertrud Wiegand. Sie war davon überzeugt, daß die Stimmen nicht nur in ihrem Kopf, sondern in der Wirklichkeit vorhanden gewesen waren. Gleichzeitig war Alexa von einer erstaunlichen Energie beseelt. Sie glaubte zwar, daß Franz Schulte-Vielhaber ermordet worden war, aber es war undenkbar für sie, daß Elmar damit zu tun hatte. Nicht, weil er dazu nicht grundsätzlich in der Lage wäre. Da wollte Alexa sich kein Urteil erlauben. Im Affekt, in einem Moment des Zorns, der Verzweiflung, war man sicherlich zu vielerlei in der Lage. Aber sie war sich sicher, daß Elmar sie nicht angelogen hatte. Er hatte behauptet, daß er es nicht gewesen war, und das stimmte. So gut kannte sie Elmar. Auch heute noch.
10
Als Alexa ihren dritten Besuch antrat, war sie bereits ziemlich erschöpft. Das Gespräch mit Gertrud Wiegand ging ihr nach. Der Auftritt bei Gustav Reineke war zwar sehr viel weniger spektakulär gewesen, hatte Alexa aber anfangs mehr Überwindung gekostet, weil sie den Mann nicht kannte. Er wohnte ebenfalls am Rande des Dorfes, allerdings am anderen Ende, dort wo es nach Hesperde, der nächsten Kleinstadt, ging. Gegenüber der Neubausiedlung, von der aus man einen phantastischen Blick über die Wiesen und Felder oberhalb des Tales hatte, standen einige ältere Häuser, von denen Gustav Reineke vor kurzer Zeit eines gekauft hatte. Soweit Alexa sich erinnern konnte, hatte hier vorher ebenfalls ein alter Mann allein gewohnt. Vermutlich war er gestorben, und die Erben hatten kein Interesse an dem Haus gehabt. Als Alexa sich dem Haus näherte, sah sie, daß es sehr nett hergerichtet war. Es hatte einen neuen Anstrich erhalten, außerdem hatte sich im Eingangsbereich etwas verändert. Ein kleines hölzernes Vordach war angebracht worden, das dem Haus Pfiff verlieh. Als Alexa auf einem gepflasterten Weg zur Haustür ging, hatte sie bereits das Gefühl, daß niemand zu Hause war. Augenblicklich stellte sich Erleichterung ein. Die ganze Zeit über hatte sie an Formulierungen gebastelt, die erklärten, warum sie sich erlaubte, bei diesem Fremden Untersuchungen anzustellen. Bislang war ihr nichts wirklich Passendes in den Sinn gekommen. Alexa klingelte daher nur noch aus reinem Pflichtgefühl. Sie war sich sicher, daß niemand öffnen würde. Sie wartete nur einen kurzen Moment, dann machte sie sich auf den Rückweg. Etwa auf der Hälfte des Weges wich die Erleichterung. Ein Mann, den Alexa auf Mitte sechzig schätzte, war mit einem Fahrrad herangefahren und hielt direkt vor der Einfahrt zur Garage. Er hatte graues, welliges Haar, das wohl einmal schwarz gewesen war. Auffällig waren seine buschigen Augenbrauen, unter denen sich fröhliche braune Augen verbargen. Der Mann lächelte freundlich, als Alexa auf ihn zuging.
»Wollten Sie zu mir?«
»Wenn Sie Herr Reineke sind?«
»Der bin ich. Was kann ich für Sie tun?« Wieder lächelte der Herr sein aufgeschlossenes Lächeln. Er war Alexa sofort sympathisch.
»Mein Name ist Alexa Schnittler. Ich bin mit Elmar Schulte-Vielhaber befreundet, dessen Onkel vor ein paar Tagen ums Leben gekommen ist. Es wird Ihnen
Weitere Kostenlose Bücher