Bd. 1 - Die dunkle Schwinge
gesprochen.«
»Hysterische Zivilisten, weiter nichts«, hielt Alyne Bell dagegen.
»Die Regierung kann jegliches Wissen über Einzelheiten leugnen. Wir siegen, Admiral Marais wird mit einer Parade belohnt, alle halten die Flagge hoch, und in sechs Monaten ist die ganze Aufregung wieder vergessen.«
»Glauben Sie wirklich, es wäre so einfach? Dem ist aber nicht so.« Marc lächelte sie an. »Noch ein Glas Wein?«
Er schenkte ihr ein und fuhr fort: »Sehen Sie, da ist noch das Problem einer pazifistischen Opposition – Akademiker, Xenologen, sogar angehende Politiker. Die Commonwealth-Partei wartet seit Jahrzehnten darauf, der Dominion-Partei etwas anhängen zu können. Und genau das werden sie machen, auch wenn jeder Bürger des Imperiums durch die Zor einen Verwandten verloren hat. Wir zählen nicht so sehr, aber was wir tun und wie wir es tun, hat Auswirkungen auf das, was sich zu Hause abspielt. Je länger der Krieg andauert und je brutaler die Bilder aus dem Kriegsgebiet werden, umso schlimmer wird es für die Regierung. Nach Pergamum waren sie alle auf unserer Seite. Jetzt, ein paar Monate später, wollen sie, dass Schluss ist. Aber es ist noch nicht Schluss.« Er schenkte sich noch ein Glas Wein ein, dann lehnte er sich zurück, da er gesagt hatte, was er sagen wollte.
»Wir sind etwas vom Thema abgekommen«, meinte Bert. »Der wichtigste Punkt ist der Grund für die Entscheidung des Admirals, A’anenu zum nächsten Ziel zu erklären. Im Wesentlichen hat er all unsere logistischen Analysen über Bord geworfen, weil er eine Depesche von Qu’useyAn erhielt. Ein Zor-Commander hatte eine mythologische Allegorie benutzt, um die imperiale Flotte zu beschreiben. Aus irgendeinem Grund standen wir auf einmal nicht mehr völlig außerhalb ihrer Kultur und Religion, sondern waren plötzlich die Bringer der Vernichtung – etwas namens ›Dunkle Schwingen Wir – und vor allem der Admiral – waren schlagartig zu etwas Bedeutsamem geworden.« Halvorsen spielte mit seinem Weinglas. »Und deshalb griffen wir A’anenu an.«
Marc rieb sich das Kinn. »Das ist verdammt noch mal das Dümmste, was ich je gehört habe.« Er ließ seinen Blick schweifen und grinste dann. »Ich darf ja hoffen, dass das Privileg noch Gültigkeit hat.«
»Ja, hat es«, erwiderte Sergei lächelnd. »Hinzu kommt, dass ich mich freue, zwei Dinge bestätigen zu können: Bert hat Recht, und in gewisser Weise Marc auch. Und Marais ebenfalls. Dieser Feldzug hat wirklich das bewirkt, was Bert sagte: Marais ist in den Augen der Zor eine mythische Figur geworden. Sie halten ihn für die Dunkle Schwinge.«
»Das ist das Zweitdümmste, was ich je gehört habe«, meinte Marc einen Moment später.
»Aber es ist wahr, und Marais glaubt es. Das ist extrem wichtig, weil beim Angriff auf A’anenu etwas geschah … Marais wurde seines Kommandos enthoben.«
Einer ließ den Löffel fallen, jemand rutschte mit seinem Stuhl nach hinten. Niemand entgegnete etwas, doch Sergei wusste, dass die anderen vier Offiziere aufmerksam zuhörten.
»Ich habe die Depesche gesehen. Sie hat in der Flotte die Runde gemacht, nur hier bei A’anenu wohl noch nicht. Die Schiffe, die jetzt erst eingetroffen sind, wissen aber von Marais’ Entmachtung. Deshalb sind sie hier.«
»Um ihn zu verhaften?«, fragte Bert.
»Um sich ihm anzuschließen«, antwortete Sergei. »Sie haben sich über ihre direkten Befehle hinweggesetzt, um herzukommen. So wie ich auch. Marais hatte mir die Depesche gezeigt und mich wissen lassen, ich sei der Einzige, der den Angriff auf A’anenu noch abwenden könnte, indem ich ihn sofort seines Postens enthebe. Er hat noch nicht entschieden, wann oder wie er dem Rest der Flotte sagen wird, was wir bereits wissen. Marais hat jetzt die Linie zwischen Insubordination und Verrat überschritten. Indem ich Ihnen das erzähle, habe ich das Gleiche gemacht. Zum ersten Mal seit sechzig Jahren haben wir gegen die Zor echte Erfolge erzielt … und wir haben die Entscheidung in der Hand, ob wir jetzt einfach unsere Chance vergeben oder vom Sol-Imperium als Verräter gebrandmarkt werden.«
»Und warum sagen Sie uns das alles?«, wollte Tina Li wissen, nachdem sekundenlang Stille geherrscht hatte. »Sollen wir die Entscheidung für Sie treffen?«
»Nein, nicht für mich. Ich habe mich bereits entschieden.« Er wischte sich den Mund ab und legte die Serviette sorgfältig gefaltet auf den Tisch. »Marais hat die ganze Zeit über immer wieder erklärt, dass ein
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