Bd. 1 - Die dunkle Schwinge
Nachgeben – auch auf Befehl – gegen seine vorrangige Verantwortung verstößt, nämlich die Sicherheit des Sol-Imperiums und insbesondere der Neuen Territorien und anderer Gebiete nahe dem Zor-Territorium zu gewährleisten. Wir beabsichtigen, das umzusetzen, was ihm ursprünglich durch den Imperator persönlich aufgetragen wurde. Der Admiral kann sich nicht durch nunmehr anderslautende Befehle aufhalten lassen, wenn er sein Ziel erreichen will. Ich glaube an ihn, und ich habe mich dazu verpflichtet, ihm bis zum Ende zur Seite zu stehen.«
»Die Befehle des Imperators und auch die Allgemeine Order 6 waren nie dazu gedacht, die Auslöschung einer ganzen Spezies zu rechtfertigen«, machte Marc klar. »Vor allem die Order stammt aus einer Zeit, in der ein Commander an der Front nicht jede Woche nachfragen konnte, wie er vorgehen sollte.«
»Das stimmt. Philosophisch betrachtet legt der Admiral die Allgemeine Order 6 sehr weit aus. Er wird sagen, dass das Gesetz seinem genauen Wortlaut entsprechend angewandt wird und dass weder die Admiralität noch sonst jemand die Absicht dieses Gesetzes zu interpretieren hat. Wir befinden uns immer noch in einem Kriegsgebiet, und bestimmte Vorschriften regeln seine Macht, die er hier ausüben kann.«
»Wie zum Beispiel Massenhinrichtungen«, fügte Marc Hudson leise an. Sergei warf ihm einen stechenden Blick zu und fragte sich, was diese Bemerkung bedeuten sollte. Hudson sagte aber nichts weiter.
»Auf jeden Fall, Tina, habe ich entschieden, dass ich es hinnehmen kann, wie Marais die Regeln auslegt. Ich kann ihn nicht guten Gewissens seines Postens entheben. Wenn er für die Zor wirklich die ›Dunkle Schwinge‹ geworden ist, dann würde ich hier die ganze Flotte in Gefahr bringen, wenn ich ihn absetze. Zu Hause mag man das durchaus als Meuterei auslegen, aber damit muss ich leben. Nein, ich will nicht, dass Sie für mich entscheiden, aber Sie sollen für sich entscheiden.«
»Und wenn wir entscheiden, dass Marais verrückt geworden ist? Oder dass Sie verrückt geworden sind?«, wollte Bert Halvorsen wissen.
»Dann nehme ich an, dass Sie irgendwo hingeschickt werden, wo Sie abwarten, bis es vorüber ist. Aber für die Admiralität sind Sie dann keine Verräter. Wer sich weigert, sich meuternden Offizieren anzuschließen, ist schließlich ein loyaler Offizier.«
»Was die Meuterer aber nicht so sehen werden«, gab Marc zu bedenken. »Und wenn die einen ins Vakuum stoßen wollen, fragt man sich schon, ob man überhaupt eine Wahl hat.«
Als die Offiziere auf ihre Schiffe zurückkehrten, fasste Marc Sergei am Ellbogen, um ihm zu bedeuten, er solle noch einen Moment warten. Als die drei anderen gegangen waren und Marc sich von der Sprachversiegelung des Raums überzeugt sowie zudem den Zugangskode verändert hatte, sagte er: »Ich muss mich bei Ihnen entschuldigen.«
»Wieso?«
»Weil ich vor Monaten Ihre Bedenken nicht ernst genommen habe. Das hier ist nicht das, was wir dachten.«
»Das macht nichts. Niemand hätte ahnen können, dass er so etwas vorhaben würde.« Sergei nahm ein Weinglas, hielt es gegen das Licht und stellte es zurück auf den Tisch.
»Ist es wirklich das, was er vorhatte? Wir hatten damals über Marais gesprochen, wer er ist, woher er kommt. Er ist ein Gelehrter, und er ist intelligent. Ich kann ihn mir vorstellen, wie er dasitzt und das verdammte Buch schreibt. Aber dieser Feldzug hat eine Dimension angenommen, die in keinem Verhältnis zu den Dingen steht, die er geschrieben hat. Und er ist Admiral geworden.
Und die Zor haben begonnen zu glauben, dass er die Dunkle Schwinge ist, ihr Todesengel.«
»Worauf wollen Sie hinaus?«
»Irgendetwas sehr Seltsames spielt sich hier ab. Mit Ihren Neuigkeiten wird das Bild allmählich klarer. Marais, ein Niemand, steuert die gesamte Flotte in ein moralisches Dilemma: Geben wir den Krieg auf, an den wir inzwischen alle glauben? Oder tun wir, was notwendig ist, und machen ihn dann zum Imperator?«
»Das will er nicht«, sagte Sergei.
»Mag schon sein, aber ihm bleibt bald keine andere Wahl mehr. Und jedem, der auf einmal kalte Füße bekommt, wird angedroht … wie soll ich das formulieren? … er könne ja im Vakuum weiteratmen.«
»Sie wurden bedroht?«
»Noch nicht. Aber Uwe Bryant, nachdem herausgekommen ist, dass er die Überflug-Logbücher von R’h’chna’a Freunden seines verstorbenen Großvaters in der Imperialen Versammlung zugespielt hatte. Ich glaube kaum, dass er sein Zuhause je wiedersehen
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