Bd. 1 - Die dunkle Schwinge
was sich bei Ka’ale’e Hu’ueru, der Feste der Dunkelheit, zugetragen hat. Er weiß nicht, welche Zeichen gegeben und erkannt wurden. Er weiß nicht, dass sich HaSameru dort esHu ’ur ergeben hat. Und es gibt noch andere Dinge, die er nicht weiß.«
Der Hohe Lord blieb stehen und bückte sich, um den Stiel einer blauen Blumen mit zahlreichen Blütenblättern zwischen zwei Krallen zu nehmen und sie vorsichtig zu drehen, als bewundere er ihre Zartheit. »Auch wenn sie gut verborgen ist, schwebt doch der Schatten der Schwinge des Täuschers erkennbar über dieser ganzen Angelegenheit.«
»Die Menschen …«
»Die Menschen sind in diesem Spiel die Kinder«, unterbrach der Hohe Lord. »Kinder!« Er sah aus seiner gebückten Haltung hoch in Ptals Gesicht. »Sie sind natürlich naZora’i, und sie sind nicht unsere Nestbrüder. Aber sie sind weder esGa’uYal noch esHara’y. Sie sind nicht der Feind.« Sein Kopf sank noch ein Stück tiefer, damit er das Aroma der Blume riechen konnte. »Es bleibt abzuwarten, ob sie das jemals waren.«
»Hoher Lord …?« Ptal war nicht in der Lage, sofort etwas darauf zu erwidern. Hätte ein anderer als der Hohe Lord derartige Worte gesprochen, wären sie ein Beweis für Verrat oder gar für Wahnsinn gewesen.
»Irgendwo – einen sehr weiten Flug vom Goldenen Kreis von esLi entfernt – befindet sich der wahre Feind des Volks.« Diesmal sah er Ptal nicht an, doch seine Flügel hoben sich ein wenig und nahmen eine Pose der Ehrerbietung ein.
Der Hohe Kämmerer bemerkte, wie sich Sse’es Krallen fester um den Stiel der Blume schlössen, die er nach wie vor betrachtete. »Es sind nicht die menschlichen naZora’i, gegen die wir uns zur Wehr setzen müssen, se Ptal. Sie wurden manipuliert, so wie wir auch. esLi hat das deutlich gemacht, indem er uns in die Krallen von es- Hu’ur gespielt hat. Vielleicht haben wir von esHu’ur noch mehr zu befürchten, doch unser wahrer Feind ist unbekannt. Er dient dem Lord der Schmach. Er ist nahe, mein alter Freund. Er ist ganz nahe.«
Mit einer blitzschnellen Bewegung, der das Auge fast nicht folgen konnte, durchtrennten die Krallen den Stiel.
»Und wir werden ihn aufhalten«, fügte er leise an, die Flügel in der Haltung der Ehrerbietung gegenüber esLi, während die Krallen in ihre Hüllen zurückglitten. Einen Moment lang blieb die Blüte, wo sie war, als sei nichts passiert. Erst dann verlor sie ihren Halt und fiel in den feinen Kies auf dem Boden.
Im Garten herrschte fast völlige Ruhe, wenn man vom gelegentlichen Aufwallen des fernen Lärms aus der Halle der Ehrfurcht dahinter absah.
»Nun«, erklärte der Hohe Lord, »werden wir uns anhören, was Makra’a HeU’ur uns zu sagen hat.«
Die Brücke der Lancaster befand sich auf dem höchsten Punkt der abgeflachten Sphäre, die das vordere Ende des Schiffs bildete. Am untersten Punkt war der Hangar für die Shuttles untergebracht, von dem aus die kleinen Schiffe starteten. Unmittelbar darüber befand sich das Beobachtungsdeck, das sich über die gesamte Peripherie der Sphäre erstreckte und einen Rundumblick ermöglichte. Bei Gefechten wurde dieses Deck aus Sicherheitsgründen geschlossen, und während sich das Schiff im Sprung befand, war der Blick nach draußen nicht möglich. Wenn das Deck benutzt werden konnte, wurde es von der Crew der Lancaster in den dienstfreien Zeiten aufgesucht, da es eine Abwechslung zu den Quartieren und Abteilungen des Schiffs bot. Gefechtsoffiziere begaben sich nicht dorthin, da sie ihre Offiziersmesse hatten.
Sergei brauchte eine solche Zuflucht ebenfalls nicht, denn mit seinem Dienstgrad ging das Privileg einher, über Privaträume, ein Arbeitszimmer und einen Bereitschaftsraum zu verfügen. Doch nirgendwo gab es diesen Panoramablick, und es gefiel ihm, sich unter die Mannschaft zu mischen.
Jetzt, da die Flotte immer noch an der Zor-Station in der Verwerfung vor Anker lag und der nächste Schritt noch nicht entschieden war, nahm er sich die Zeit, das Beobachtungsdeck aufzusuchen, wo er einen Eindruck von der Stimmung unter seinen Leuten gewinnen wollte.
Auf dem Deck war relativ viel los. Als er eintrat, standen die Crewmitglieder, die der Tür am nächsten saßen, prompt auf und salutierten, und einen Moment später taten die anderen auf dem Deck es ihnen nach. Er erwiderte die Begrüßung und bedeutete seinen Leuten, sich wieder zu setzen, dann ging er auf der erhöhten Plattform entlang, die um das Deck herum verlief, und betrachtete die Sterne.
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