BE (German Edition)
überhaupt so richtig begonnen hatte. Zu seinem großen Ärger hatte Bernd alles verpasst. Alles war viel zu schnell gegangen und der Tumult zu groß gewesen. Er musste von einem Münztelefon bei Charles Schumann in München anrufen, der den Kampf im Fernsehen gesehen hatte, um zu erfahren, was geschehen war.
Es muss 2007 gewesen sein, als Bernd und ich im Ago’s saßen und zu Abend aßen. Das Ago’s ist ein italienisches Restaurant auf der Melrose Avenue, und weil es Robert De Niro (ja, genau, dem »Raging Bull«) gehört und viele Europäer dorthin gehen, konnte man dort noch auf der Terrasse rauchen. Auch Bernd und ich rauchten, als plötzlich ein schwarzer Mann mit einer Schrankwand von einem Kreuz neben uns stand. Weil er für seine Breite relativ klein war, wirkte er irgendwie quadratisch. Er trug Jeans und ein Polohemd und war vom Nachbartisch aufgestanden und zu Bernd gekommen. Ob Bernd vielleicht eine Zigarette für ihn hätte, fragte er sehr charmant. Bernd blickte nach oben in das Gesicht des Mannes. Er hatte eine große, krallenartige Tätowierung über dem linken Auge. Bernds Gesicht erstarrte. Es war, als hätte er einen Geist gesehen. Der Typ, der ihn da gerade um eine Zigarette angeschnorrt hatte, war Mike Tyson! Auch wenn Bernd Tyson am liebsten gesagt hätte: »Hör auf zu rauchen, du Idiot! Werd wieder fit und boxe!«, schenkte er ihm die Zigarette. Und ich sah an Bernds Gesicht, wie sehr er sich anstrengen musste, damit seine Hand nicht zitterte, als er Tyson Feuer gab.
Babylon
ED gar Reitz hat einmal den wunderschönen Satz über Bernd gesagt: »Film ist für ihn das Medium, durch das er sich geschützt fühlt vor Schmerzen und Banalität.« Dadurch, dass Bernd die Realität immer durch die »Kino«-Brille sah, war er geschützt vor ihrem harten Licht. In der Dunkelheit des Kinosaals war der Alltag auf ein für Bernd erträgliches Maß gedimmt. Doch vor dem, was nach »Der Name der Rose« kam, konnte Bernd auch das Kino nicht schützen. Es wurde ernst. Er rückte dem Abgrund so nah, dass ihn die Vertigo in die Tiefe zu reißen drohte – und nicht einmal seine engsten Freunde erkannten es.
Alles begann ganz harmlos, als Uli Edel ein Projekt mit dem Titel »Ich und Er« entwickelte, das auf dem gleichnamigen italienischen Roman von Alberto Moravia basierte, der auch die Vorlage zu Bernardo Bertoluccis »Der große Irrtum – Il Conformista« geliefert hatte. Der Roman handelte von einem Mann, dessen Penis eines Tages mit seinem Besitzer zu reden beginnt und ihn immer wieder in unmögliche Situationen bringt. Ein ständiger Kampf zwischen Hirn und Schwellkörper. Nach »Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo« sollte dies Uli Edels nächster Film werden. Bernd hatte für Uli die Verfilmungsrechte an dem Roman gekauft und sollte den Film auch produzieren. Bis Bernd auf einmal eine Idee hatte, die so brillant wie schrecklich und grausam war: Nicht Uli sollte Regie zu »Ich und Er« führen, sondern Doris Dörrie. Das war nichts anderes als Brudermord. Bernd und Uli, am selben Tag geboren. Sie kannten einander seit ihrer Stunde null als Filmemacher, sie waren jahrelang unzertrennlich gewesen. Und nun wollte Bernd Uli sein Projekt wegnehmen!
»Ich und Er« hatte Uli zur Constantin Film gebracht. Aber Doris Dörrie hatte 1985 mit ihrer Hit-Komödie »Männer« den Nerv einer Zeit getroffen, in der sich das Männerbild im Zuge der Emanzipation im freien Fall befand. »Wann ist der Mann ein Mann?«, sang Herbert Grönemeyer 1984 in seinem Album »Bochum« und brachte dabei die Ratlosigkeit, mit der sich der Mann der Achtziger zwischen Yuppie und Hippie zu orientieren suchte, auf den Punkt. Dörrie war über Nacht zum Darling des deutschen Kinos geworden, und Bernd wurmte es enorm, dass die Constantin Film »Männer« nicht verliehen hatte. Da war etwas passiert in Deutschland, das ihm ganz offensichtlich entgangen war. Etwas lag in der Luft, das er nicht fassen konnte.
»Ich kann mich noch genau an die erste Begegnung zwischen Bernd und Doris Dörrie erinnern. Wir saßen im Chateau Marmont in L. A., und es war so eine Sitzgruppensituation. Bernd war ein Star, eben der Prinz von München. Plötzlich kommt Doris rein. Auch sie war über Nacht zum Star geworden. Die eine kommt rein, der andere steht auf. Und du merkst sofort: Da sind zwei Leute, die fühlen sich in einer eigenen Welt, zu der von allen anderen Leuten, die sich sonst noch im Raum befinden, nur sie beide gehören. Die
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