BE (German Edition)
war ein schrecklicher Schlag nicht nur für Bernd, sondern auch für mich. Auch wenn man auf den Tod eines Menschen vorbereitet ist, so steht man dem plötzlichen Fehlen dieser Person trotzdem fassungslos entgegen. Bärbel war ein Lebensmensch für Bernd – und wenn auch nur für kurze Zeit, so auch für mich.
Kurzer Exkurs über das Boxen
DA ss das Universum des Bernd Eichinger kein Konsensuniversum war, ist mittlerweile sicherlich deutlich geworden. Bernd wunderte sich oft, warum es immer wieder vorkam, dass andere Männer ihn in Bars mit blöden Sprüchen herausforderten – warum sie sich gerade ihn aussuchten, um sich selbst ihre Männlichkeit zu beweisen. Ich war mehrmals dabei, als dies geschah. Es war faszinierend. Bernd zog diese nicht wirklich bewussten Lebensformen an wie das Licht die Motten. Während unserer Ehe war er schon weiser und ruhiger geworden und gab diesen Provokationen nicht mehr nach. Früher war das anders. Trotzdem verstand er nicht, warum er sich ständig in diesen Konfliktsituationen wiederfand. Nun gehören zu einem Konflikt aber immer zwei. Auch wenn Bernd nach einem langen und harten Arbeitstag eigentlich keinen Faustkampf wollte, so befand er sich dennoch in einem permanenten Kriegszustand. Der Grund lässt sich auf eine einfache Gleichung bringen: Bernd lebte für das Filmemachen, und Filmemachen war für Bernd Krieg. Krieg – ich muss es wiederholen – gegen die Mächte der Trägheit und des Mittelmaßes. Krieg gegen die eigene Angst. Ein Krieg, in dem jeder Kompromiss den Untergang bedeuten konnte. Ein Krieg, der erbarmungslos geführt werden muss: ohne Gefangene.
Es war ein Krieg, den Bernd mit sich selbst führte, aber trotzdem war es Krieg. Dieses Gefühl, sich im Kriegszustand zu befinden, wirkt sich natürlich auf die Ausstrahlung einer Person aus. Bernd stand unter Strom. Immer und überall. Sogar in der Sauna. Die positive Seite dieser Eigenschaft war, dass bei einer so hohen Energieausschüttung bei vielen Leuten ein Licht anging. Bernd konnte Leute entfachen, die Luft elektrisieren. Der Nachteil war, dass so eine Ausstrahlung Leute mit Aggressionsproblemen anzog. Außerdem kann man nicht behaupten, dass Bernd seine eigenen Aggressionen immer im Griff hatte. Als er in den späten Achtzigern einmal vorübergehend in der Wohnung der Mutter seines damaligen Assistenten Stephan Grzimek wohnte, kam dieser eines Tages vorbei und musste feststellen, dass Bernd vor lauter Wut über eine nicht erwähnenswerte Sache riesige Löcher in die Wände getreten hatte. Wie viele Autoradios er mit der Hand zertrümmert hat, weil ihn das Rumgefummel an den Knöpfen nervte und das Radio einfach nicht verstand, was er von ihm wollte, ist leider nicht dokumentiert. Es waren einige.
Unter solchen Voraussetzungen hat ein Kampfsport wie Boxen einen Sinn. Gibt es doch kaum eine direktere Form des reglementierten Aggressionsabbaus. Nach außen hin passte das natürlich perfekt zu dem Macho-Image, mit dem Bernd mittlerweile gebrandmarkt war. Und nicht nur das. Auch Macho-Schmerz-Poet Wolf Wondratschek mit seinem Zuhälterfimmel boxte. Was für ein Testosteronfest! Die Realität sah wesentlich milder aus. Bernd erzählte, dass Wondratschek zwar immer mitboxen wollte, aber ähnlich wie Adalbert in »Der kleine Nick« nie wirklich rangenommen werden konnte, weil er ja eine Brille trug. Übrigens: Als Bernd noch lebte, habe ich nie verstanden, warum man ihn für einen Macho hielt. Schließlich zog er sowohl privat als auch beruflich weibliche Gesellschaft vor, gab Frauen Führungspositionen und fand Zuhälter wie sonstige Formen der systematischen Frauenunterdrückung grauenhaft. Es wäre mir nie in den Sinn gekommen anzunehmen, dass Bernd mich weniger ernst nehmen könnte, weil ich eine Frau bin.
Dass Bernd sich fürs Boxen interessierte, hatte demnach weniger mit der Kultivierung eines Männlichkeitswahns zu tun, als mit der Faszination für einen extrem direkten Kampfsport, der nicht nur sehr elegant sein konnte, sondern auch viel mit seiner Wahrnehmung der Realität als Kampf zu tun hatte. Sein Interesse fürs Boxen äußerte sich auch darin, dass er zu Boxkämpfen fuhr. Mit viel Mühe und finanziellem Aufwand hatte er sich Tickets für den Kampf von Mike Tyson gegen den Sohn von Joe Frazier, Marvis Frazier ergattert, der am 26. Juli 1986 in Glens Falls, New York, stattfand. Der Boxkampf war nach weniger als dreißig Sekunden vorbei. Tyson hatte Frazier K.o. geschlagen, noch bevor das Duell
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