BE (German Edition)
sich meine Eltern enorme Sorgen um mich machen würden und so erleichtert sein würden, mich wieder heil bei sich zu haben, dass die schlechte Note unter den Tisch fallen würde. Genau so ist es dann auch gelaufen. Der Grund, warum ich mich an diesen Tag so gut erinnere, ist wohl der, dass es mich erschreckt, wie berechnend ich als Kind war«, so Bernd, der damals auch Probleme damit hatte, dass seine geliebte Schwester in die Pubertät kam: »Da war ich schon eifersüchtig, dass ich plötzlich nicht mehr das Zentrum ihres Lebens war.«
Es war das einzige Mal, dass ich gehört habe, dass Bernd das Wort »eifersüchtig« im Zusammenhang mit sich selbst gebrauchte. Wenn Bernd eifersüchtig war, dann hat er es nie gezeigt. Eifersucht fand er langweilig und absolut abstoßend. Eine Schwäche, die er weder bei sich selbst noch bei der Frau, die er liebte, sehen wollte. Eifersucht empfand er als Gefängnis und er war entschlossen, sich nicht einsperren zu lassen. Zu unser beider Glück konnte ich das gut verstehen.
Die Eltern waren unzufrieden mit Bernds Schulleistungen am Gymnasium und hatten Angst, dass ihr Sohn – der ihre Autorität sowieso nicht wirklich ernst zu nehmen schien – zum Herumlungerer abdriften würde. Von ihrer Tochter Moni waren sie Bestnoten gewohnt. Sie war eine Einserschülerin, bei der es laut Bernd schon laut Schelte setzte, wenn sie mit einer Zwei minus nach Hause kam. Und nun las sich das Zeugnis von 1962 des Gymnasiums mit Oberrealschule Neuburg / Donau ihres Sohnes folgendermaßen:
Religionslehre: Befriedigend
Deutsch: Ausreichend
Englisch: Mangelhaft
Erdkunde: Ausreichend
Mathematik: Ausreichend
Biologie: Befriedigend
Kunsterziehung: Gut
Musik: Gut
Leibeserziehung: Sehr gut
Als Bemerkung stand zudem: »Der fleißige und ordentliche Schüler konnte das Klassenziel gerade noch erreichen.«
Nach diesem Zeugnis war klar: »Das gibt Mecker!« Panik machte sich breit im Hause Eichinger. Der Sohn drohte außer Kontrolle zu geraten! Sofortige Abhilfe musste geschaffen werden. Bernd wurde vom Gymnasium genommen und in einem katholischen Heim in Deggendorf im tiefsten bayerischen Wald untergebracht, zweihundert Kilometer von Rennertshofen entfernt. Es war ein reines Jungenschulheim, das allerdings an eine gemischte Schule angebunden war, und trug den Namen »Oberrealschule mit Heim Deggendorf«. 1971 wurde die Schule zu »Comenius Gymnasium« umbenannt. Zu diesem Zeitpunkt wurden auch die Schlafsäle mit über sechzig Schülern abgeschafft. Es gab keine Duschen, sondern Waschbecken, aus denen nur kaltes Wasser kam. Nur an Sonntagen gab es Butter zum Frühstück, ansonsten gab es Brot mit Hagebuttenmarmelade und jede Menge Hagebuttentee, denn auf dem Gelände des Internats wuchsen Hagebuttenbüsche. Auch als Erwachsener hasste Bernd den Geschmack von Hagebutten in jeglicher Form. Das Internat in Deggendorf war sowohl in Bezug auf seine Räumlichkeiten als auch in Bezug auf die pädagogische Betreuung – aufgrund von Personal-mangel – alles andere als eine herausragende Einrichtung. Trotzdem wurde Bernd dorthin geschickt, denn der Leiter des Heims war ein Priester, der mit Bernds Vater verwandt war. Bei einem Verwandten hielt man den Sohn für gut aufgehoben. Dass der Verwandte schon bald darauf in Rente ging, war egal. Bernd blieb im Schulheim Deggendorf.
»Ich kann mich noch genau an den Tag erinnern, als mich meine Mutter in das Internat gebracht hat. Wir haben mir erst ein paar neue Sachen gekauft – Schlafanzug, Zahnputzbecher und so – und dann haben wir uns noch auf eine Wiese gesetzt und Butterbrote gegessen. Meine Mutter hat mir erklärt, warum ich verstehen muss, dass sie mich jetzt ins Internat bringt«, erzählte mir Bernd, als wir einmal in seinem Büro in unserem Haus in Los Angeles saßen. Ich saß auf dem Sofa, unter dem großen Bild von Marilyn Monroe, das wir uns nach unserer Hochzeit für unser gemeinsames Zuhause gekauft hatten, und Bernd hinter seinem Schreibtisch. Darauf stand ein kleiner, messingfarbener Plastikbecher. Es war sein Zahnputzbecher, den ihm seine Mutter für seine Einschulung ins Internat besorgt hatte. »Der steht da, damit ich mich daran erinnere, dass – egal wie schlimm es kommt, egal wie hart sich das alles gerade anfühlt – es nie schlimmer werden wird als damals. Im Vergleich zu damals ist alles, was danach kam, ein Klacks.«
Erst viele Jahre später erinnerte sich Bernd daran, dass er sich während des ersten Jahres im Internat jede Nacht
Weitere Kostenlose Bücher