BE (German Edition)
war egal. Die Welt war plötzlich eine andere.«
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Bernd nur Cello im Schulorchester gespielt. Das Cello deswegen, weil sein Vater es für ein schönes Instrument hielt. Das Cellospiel half in erster Linie gegen die Langeweile. Cello zu üben war etwas, womit er die langen Nachmittage im Internat füllen konnte. Sein Lehrer war begeistert von ihm und wollte, dass er Musik und Cello studierte.
»Dabei habe ich nie wirklich Notenlesen gelernt! Ich habe immer nur nach Gehör gespielt und mich im Orchester einigermaßen an den Bögen und dem Verlauf der Notenreihen orientiert. Ich konnte nie vom Blatt abspielen, sondern immer nur nach Gehör.«
Genau dieses Gehör half Bernd, das Instrument zu erlernen, das er – nachdem er »I wanna hold your hand« im Radio gehört hatte – unbedingt wollte: Bernd begann, mit fiebriger Begeisterung Gitarre zu spielen.
»Ich übte stundenlang Gitarre. So sehr, dass mein Vater meinte, ich hätte nur deswegen eine Trichterbrust, weil ich ständig zusammengekauert über der Gitarre hing.« Und Bernd gründete eine Band, »The Fighters«, in der er Lead Singer war und Gitarre spielte.
»Wir haben bekannte Rock ’n’ Roll Songs nachgespielt, die Beatles, die Rolling Stones, die Kinks … einfach indem wir uns immer und immer wieder die Platten angehört und die Songs dann nachgespielt haben. Es gab für diese Songs ja noch keine Noten, also haben wir rein nach Gehör gespielt. Das Problem war nur, dass wir auch die Texte brauchten und manchmal nicht verstanden haben … also, manche Platten haben wir uns hundert Mal angehört, nur damit wir die Songs einigermaßen nachsingen konnten. Aber auch wenn wir die Texte vielleicht nicht so ganz perfekt hinbekommen haben, unser Publikum wusste es ja auch nicht besser. Und was wirklich gezählt hat, waren ja auch die Musik und die Stimmung.«
Ein weiteres Problem bestand darin, dass die Schulleitung der Existenz einer Rock ’n’ Roll Band extrem missbilligend gegenüberstand.
»Die wollten, dass wir Jazz spielen. Jazz war für die okay, das war bürgerlich. Rock ’n’ Roll war dubios«, so Bernd. »Aber Jazz, das war natürlich total ausgeschlossen. Lieber wären wir gestorben, als da so halbschwul rum zu schrummen.«
Mit seiner Abneigung gegen Jazz stieß Bernd bei mir auf offene Ohren. Auch wenn Bernd und ich nicht immer denselben Musikgeschmack hatten – zum Sport borgte er sich gelegentlich meinen iPod aus, nur um ihn mir danach kopfschüttelnd zurückzugeben. Er fand meinen Musikgeschmack absolut bizarr und konnte nicht verstehen, wie ich zugleich Serge Gainsbourg, The Cramps und die Dead Kennedys mögen konnte. Zwar konnte ich ihn überzeugen, dass die John Spencer Blues Explosion durchaus Vorzüge hat, aber Iggy Popp hielt er für einen Dilettanten, Wilco für eine Schülerband und Boney M. für die Disco-Version vom Asperger-Syndrom. Mit Letzterem hatte er wahrscheinlich nicht ganz unrecht. Insgesamt waren wir uns aber in einer Sache einig: Rock ’n’ Roll rockt. Zu sagen, Bernd mochte Musik, wäre falsch. Bernd liebte Musik.
Vor allem liebte Bernd gitarrenlastigen Rock. Ganz vorne Pink Floyds »Dark Side of the Moon« und »The Wall«. Zu Hause in unserer Münchner Wohnung und auch in seinem Büro bei der Constantin stehen immer noch mehrere Kopien von »Bernie’s Songs« im Regal. »Bernie’s Songs« ist eine Kompilation seiner Lieblingssongs, gewissermaßen Bernds iPod, bevor es iPods gab. Neben Randy Newman, Meat Loaf und den Stones war da vor allem ein Song, der es ihm angetan hatte: Peter Framptons »Do you feel like I do?« Auch wenn in Sachen Populärmusik Bernds Götter die Beatles und Pink Floyd hießen, so ist es für mich doch dieser Peter-Frampton-Song, der Bernds Lebensgefühl am besten verkörpert: Eine Energieexplosion von einem Song, der losrockt ohne Rücksicht auf Verluste; und doch ist da eben dieses große Verlangen, sich mitzuteilen und verstanden zu werden, gepaart mit einer Melancholie, weil das wahrscheinlich nie geschehen wird.
Während seiner Schulzeit war es vor allem eine Person, die Bernds Begehren, sich durch Rock ’n’ Roll mitzuteilen, nicht verstand: sein Schuldirektor. Dieser war alles andere als amüsiert, als Bernds Band die Mittagspause zum Proben nutzte. Bedeutete doch der Probenlärm eine empfindliche Störung seines Mittagsschlafs! Der Schuldirektor zitierte Bernd also umgehend in sein Büro. Als Bernd keine Reue zeigte und erklärte, dass die
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