BE (German Edition)
deswegen so sehr, weil er Kleidung und Kostüme und die damit verbundenen Manipulationen und Täuschungsmanöver zum zentralen Schauplatz menschlichen Dramas macht. Laut Oscar Wilde lehnen es nur oberflächliche Menschen ab, sich mit Äußerlichkeiten zu beschäftigen. Kein Film verkörpert das besser als »Vertigo«. Und was so großen Spaß daran gemacht hat, als ich mir das »Vertigo«-Kostüm schneidern ließ war die Tatsache, dass Bernd und ich beide genau wussten, welches Spiel wir da spielten.
Für Bernd war es nicht so sehr die natürliche Weiblichkeit, die ihn faszinierte, sondern eine Inszenierung der weiblichen Gestalt. Eine Inszenierung, die mit den Gedanken und den Blicken des Zuschauers spielt. Es war das Wechselspiel von Verstecken und Herzeigen, das Bernd an Kleidung interessierte. Beim Anziehen ging es hauptsächlich ums Ausziehen. Kein Wunder also, dass Bernd »lass-es-alles-raushängen«-Hippies, die Siebziger und die als Emanzipation verstandene Rückkehr zur Gaia immer als ästhetisches Missverständnis empfand. Übrigens war Bernd ein großer Fan der amerikanischen TV Serie »Mad Men«. Ich kann es immer noch nicht glauben, dass er gestorben ist, ohne die vierte Staffel gesehen zu haben.
Dass Bernd starke Sexualität bei Frauen mochte, manifestierte sich auch in seinem ersten erotischen Erlebnis: Zu Hause bei seinen Eltern gab es eine kleine Nachbildung der Statue »Ariadne auf dem Panther« von Johann Heinrich Dannecker. Sie zeigt Ariadne, die mutige Tochter des kretischen Königs Minos, die Theseus mit Hilfe des Ariadnefadens half, den blutrünstigen Minotaurus zu besiegen und später den Gott Dionysos heiratete. Die Ariadne, wie sie als Statue zu sehen ist, ist nackt und stolz und sitzt aufrecht auf dem Panther, der unter ihr wie eine Schmusekatze schnurrt.
»Ich stand vor dieser Figur und starrte so auf die nackte Frau, da hat’s zum ersten Mal in mir aufgeflackert … da hab ich’s zum ersten Mal gefühlt. Meine erste erotische Erfahrung. Später, als ich mir im Alter von vierzig meine erste Wohnung gekauft habe, hat mich meine Mutter gefragt, ob ich nicht etwas von zu Hause haben wollte. Da hab ich sie gebeten, mir die Frau auf dem Panther zu geben … aber ich hab ihr natürlich nicht erzählt, dass das praktisch mein erster Porno war.«
Die Pantherfrau steht heute auf unserem Kaminsims – umgeben von Familienfotos. In »Das Mädchen Rosemarie« ist sie auch zu sehen: Die Szene, in der Heiner Lauterbach und Katja Flint bei sich zu Hause am Kamin sitzen und über Rosemarie Nitribitt reden, drehte Bernd damals in seinem eigenen Wohnzimmer, weil er für das vorhandene Budget keinen anderen Drehort finden konnte.
Bernd hat immer betont, er habe eine schöne Kindheit gehabt. Seine Mutter sei »ein guter Kamerad« gewesen. Oft seien er und seine Schwester auf den Geburtshof der Mutter in Schellenberg in Berchtesgaden in die Ferien gefahren – meistens ohne den Vater, denn der musste zu Hause bei seinen Patienten bleiben und konnte mit Wandern und Freiluftaktivitäten sowieso nur wenig anfangen. In Schellenberg sei die Mutter viel mit ihnen gewandert und habe Bernd und seiner Schwester das Skifahren beigebracht. Ferien, an die Bernd nur idyllische Erinnerungen hatte. Unmengen von Honigbroten hätten er und seine Schwester verschlungen und wilde Ski- und Schlittenfahrten hätten sie gemacht.
Aus Bernds Kindheit kann man ein weiteres Fazit ziehen: Bernd hat in seiner Kindheit nie gelernt, sich ordentlich die Schuhe zu binden. Er konnte keine doppelte Schleife machen. Die Converse-Turnschuhe, sein Markenzeichen, waren immer nur mit einer einfachen Schleife gebunden.
Eingesperrt
WE nn Bernd von seiner Kindheit sprach, dann meinte er damit die Zeit, bevor er ins Internat kam. Bernds Kindheit endete, als er elf Jahre alt war. Nach der Grundschule hatten ihn seine Eltern zunächst auf das 11,5 Kilometer entfernte Gymnasium in Neuburg an der Donau geschickt – die Schule, die zur selben Zeit auch Jürgen Olczyk besuchte, der jahrelang für Bernd als Standfotograf arbeitete. Um zur Schule zu gelangen, musste Bernd jeden Tag mit dem Bus fahren, er war ein sogenannter »Fahrschüler«. Da die Busfahrzeiten nicht exakt dem Stundenplan der Schule entsprachen, strolchte er manchmal mehrere Stunden in der Stadt herum. Den Eltern war das ein Dorn im Auge. Eines Tages, als Bernd eine schlechte Note geschrieben hatte, entschloss er sich, erst spät am Abend nach Hause zu kommen.
»Ich wusste, dass
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