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BE (German Edition)

BE (German Edition)

Titel: BE (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Eichinger
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haben.
    »Bei den Marvel Comics gibt es eine psychologische Komponente, mit der sich Teenager – und gerade Jungen – sehr gut identifizieren können. Das sind immer wieder klassische Konflikte und Dramen, wie man sie als Teenager erlebt«, erklärte mir Bernd. »Da geht es immer wieder um den Vater-Sohn-Konflikt. In ›Thor‹ zum Beispiel: Der Sohn wird von seinem Vater verstoßen und versucht alles, um wieder von seinem Vater akzeptiert zu werden.« Auch beim »Silver Surfer« – dessen Schöpfer »Galactus« (auch »Planetenfresser« genannt) ihn zwar mit seinen übermenschlichen Fähigkeiten ausgestattet hat, aber von ihm verlangt, im Universum Planeten zu finden, die er zerstören kann – handelt es sich um einen klassischen Vater-Sohn-Konflikt. Vor allem aber ist es der abwesende Vater, der als Thema in den Marvel Comics eine Rolle spielt. Andreas Platthaus, Feuilletonist bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und Comic-Experte, erklärt das so:
    »Die Superhelden bei Marvel müssen ohne den Halt einer moralischen Autorität in der Welt zurechtkommen. Dabei stellen ihre Super-Powers immer wieder ein Problem dar, denn sie fühlen sich dadurch fremd und nicht dazugehörig. Das ist natürlich eine typische Teenagerproblematik: Isolation, Entfremdung und gleichzeitig eben die Abwesenheit einer Autorität, die man anerkennt.«
    Der Marvel Comic »The Fantastic Four«, der den Grundstein des Marvel-Universums bildet, faszinierte Bernd. Hier handelt es sich nicht um sterile Übermenschen, sondern um eine chaotische Surrogatfamilie von Superhelden – Mr. Fantastisch, Das Ding, die Unsichtbare und die menschliche Fackel – die immer wieder Probleme mit ihren Superkräften haben. Zwar sind es ihre einzigartigen Talente, die die Fantastischen Vier so besonders, so phantastisch machen, doch diese Talente lassen sich nicht immer kontrollieren. Das kann zu sehr komischen und mitunter auch dramatischen Unfällen und Missverständnissen führen. Bernd war besessen von diesen Comics und besaß lange Jahre eine umfassende Sammlung (die seine Exfreundin jedoch irgendwann aus ihrem Keller »entsorgte«). Und wenn man drüber nachdenkt, dann hat er »The Fantastic Four« später auch selbst gelebt: Schließlich gibt es kaum eine bessere Metapher für eine Filmcrew als ein wilder Mix aus Superhelden, die mit ihren eigenen Superkräften nicht klarkommen und füreinander eine große Ersatzfamilie sind.
    Doch auch wenn Bücher Fluchtpunkte sein können, eine tatsächliche Rettung vor einer feindlichen Realität sind sie nicht. Bernds Schule war, wie schon erwähnt, ein Ort der Gewalt. Die Lektüre von Superhelden konnte Bernd da auch nicht helfen. Zwar erlaubten sie Bernd, Allmachtsphantasien zu spinnen, doch das änderte nichts an der Tatsache, dass er selbst kein Superheld war und im Internat mit ganz konkreten Gefahrensituationen konfrontiert wurde. In England nennt man die Feiglinge, die schwächere Schüler schikanieren und demütigen »Bullies«. Absolut traumatisch für jedes Kind. Bernd blieb nichts anderes übrig, als eine Überlebensstrategie gegen solche Bullies zu entwickeln. Er hat mir diese Strategie genau erklärt. Der übliche Ratschlag konsensorientierter Eltern und Lehrer, den Bully »einfach zu ignorieren«, funktioniert nämlich nicht. Da Bernd nicht dazu gekommen ist, sein »Tipps fürs Leben«-Buch zu schreiben, nun an dieser Stelle: die praxiserprobte Bernd-Eichinger-Methode zum Umgang mit Bullies:

    Egal, was der Bully von dir verlangt, du darfst es ihm nicht geben. Egal ob er Geld oder Süßigkeiten fordert oder will, dass du ihm ’ne Zigarette anzündest oder dass du dich vor ihm in den Dreck wirfst. Wenn du das tust, dann hast du verloren. Du darfst auf keinen Fall nachgeben. Auch nicht, wenn er stärker ist als du. Du musst deine Angst überwinden und darfst dich nicht unterkriegen lassen – wenn er dich schlägt, musst du zurückschlagen, auch wenn du dabei eins auf die Fresse kriegst und blutig geschlagen wirst. Du darfst auf keinen Fall deiner Angst nachgeben und weglaufen oder dich erniedrigen lassen. Das stachelt die nur an und macht die Sache beim nächsten Mal noch schlimmer. Und du musst auch ein Gespür dafür haben, ob dich jemand erniedrigen will, z.B. eben indem er will, dass du ihm eine Zigarette anzündest. Du musst verstehen, was eine erniedrigende Situation für dich ist und was nicht. Wenn er dich also schlägt – oder eine Gruppe an Leuten auf dich einschlägt –, und du

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