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BE (German Edition)

BE (German Edition)

Titel: BE (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Eichinger
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Mittagszeit die einzige Uhrzeit war, in der ihnen ein Raum zur Verfügung stand, wurde der Direktor nach Bernds Erzählung »kreideweiß vor Wut. Und dann hat er so hart zugeschlagen, dass mir die Nase blutete«. Als Bernd das Drehbuch zu »Der Baader Meinhof Komplex« schrieb und er mir die Szene zu lesen gab, in der Andreas Baader im Stammheimer Gerichtssaal sitzt, der vorsitzende Richter ihn anschreit mit »Sie haben gestört!« und Andreas Baader einfach immer weiter »stört«, war es Bernds blutige Begegnung mit seinem Schuldirektor, an die ich sofort denken musste.
    Über diese Auseinandersetzung mit seinem Schuldirektor sprach ich mit Bernd auch im Zusammenhang mit den Missbrauchskandalen in katholischen Heimen und Internaten, die vor einigen Jahren im Fokus der Medien standen.
    »Von sexuellem Missbrauch habe ich in meinem Internat nichts bemerkt«, so Bernd, der den Medienberichten über physische Gewalt an Internaten in den fünfziger und sechziger Jahren nichts Besonderes abgewinnen konnte.
    »Körperliche Gewalt gehörte bei uns zur Tagesordnung. In den Schlafsälen schliefen ca. sechzig Jungen, und die Präfekten, die in den Schlafsälen aufpassen mussten, waren ja oft nicht viel älter als wir. Das waren Studenten, die sich damit ein Taschengeld verdienten. Die waren uns ja genauso ausgeliefert wie wir denen. Und da wurde hart durchgegriffen. Von dem Zeitpunkt, als das Licht ausgeschaltet wurde, bis zum Morgen nach der Morgenandacht herrschte Schweigepflicht. Wenn dann in der Nacht doch einer geredet hat, wurde das Licht angeknipst, und alle mussten raus aus den Betten. Und dann musste man sich hinstellen und mit geradem Arm ein Kissen von sich halten. Am Anfang ist das Kissen noch leicht, aber nach einer halben Stunde denkt man, der Arm fällt einem ab. Und genau dann, wenn man denkt, der Präfekt ist eingeschlafen und man kann den Arm senken, macht er die Augen auf und erwischt einen.«
    Als ich Bernd kennenlernte, hatte er noch immer einen extrem leichten Schlaf und bemerkte sofort, wenn ich das Schlafzimmer verließ oder betrat. Er war sehr verwundert, als sich das später änderte und er weiterschlief, während ich mich anzog. »Das kann ich überhaupt nicht glauben«, meinte er dann kopfschüttelnd. »In den ersten Jahren nach dem Internat, konnte ich es nicht haben, wenn jemand plötzlich das Licht im Schlafzimmer angeschaltet hat. Da bin ich sofort hochgeschreckt und hab reflexartig zugeschlagen.«
    Bernds Schlaf blieb bis zum Ende seines Lebens ein Problem: »Ich kann mich höchstens an ein paar Mal erinnern, als ich morgens erfrischt aufgewacht bin. Normalerweise bin ich morgens eigentlich völlig fertig.« Es waren seine Träume, die Bernd umtrieben, und während eines Filmprojekts die nie nachlassende Anspannung und Sorge. Ich glaube, unsere Ehe hat auch deswegen so gut funktioniert, weil ich einen so tiefen Schlaf habe. Nur wenn ich Jetlag hatte oder – was selten vorkam – selbst aus irgendeinem Grund nicht schlafen konnte, habe ich mitbekommen, wenn Bernd nachts herumrumorte, das Licht an- und ausschaltete, sinnierend in den Kühlschrank starrte, tief seufzend auf die Matratze sank und stundenlang Karl May oder »Prinz Eisenherz«-Comics las, um seine Nerven zu beruhigen. Wenn Bernd in der Nacht nicht schlafen konnte, dann waren es seine Dämonen, die ihn einholten. Nur eben, dass die Dämonen nicht mehr die Präfekten waren und auch nicht das Heimweh oder die Angst vor Schlägen. Als Filmemacher hatten Bernds Dämonen andere Namen. Sie hießen Zweifel, Kontrollverlust, Angst vorm Versagen und vor der totalen Vernichtung. Oft in seinem Leben hat Bernd so hoch gepokert, und – entgegen seinen eigenen Aussagen in Zeitungsinterviews, in denen er lieber den Geschäftsmann als den Zocker gab – alles auf eine Karte gesetzt.
    Ein Dämon, der sich oft an seinen Fußgelenken festbiss, war die Angst, als Sozialfall zu enden – zum Gespött zu werden, angewiesen auf die Almosen anderer. Letztendlich waren das aber nur die erwachsen gewordenen Dämonen aus Bernds Internatszeit. Die Hölle, das war für Bernd, unfrei und ausgeliefert zu sein, abhängig von Menschen, denen er letztendlich egal war. Natürlich ist Bernd da nicht der Einzige, der seinen Dämonen nicht entwachsen konnte. Was Bernd jedoch meiner Ansicht nach so besonders macht, ist die Tatsache, dass er seine Dämonen, wenn nicht zu seinen besten Freunden, dann doch zu seinem Beruf gemacht hat. Zum 80. Geburtstag des Filmproduzenten

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