BE (German Edition)
schlägst zurück, dann passiert das danach vielleicht noch ein zweites Mal. Dann werden sie’s wieder versuchen, und du wirst dich wieder wehren. Aber danach wird’s ihnen zu blöd. Das ist ihnen viel zu anstrengend. Denn du musst ja wissen, so ein Typ, der will ja was von dir … der will eben Geld oder Süßigkeiten oder seinen Spaß. Und dabei geht er den Weg des geringsten Widerstandes. Denn er ist ja ein Feigling. Wenn er aber merkt, dass das bei dir nicht so einfach ist, dass er da auf Widerstand stößt, dann wird er sich nach leichterer Beute umschauen. Dann lässt er dich in Ruhe, und das ist ja alles, was du willst. Das funktioniert in der Schule genauso wie im Geschäftsleben. Die Herausforderung besteht nur darin, sich nicht einschüchtern zu lassen und keine Angst vor den Schlägen zu haben, die du ein paar Mal einstecken musst.
Seine Ruhe zu haben, sodass ihm »keiner d’rein redet«, das war Bernds angestrebter Idealzustand. Wenn er in der Presse immer als »Tycoon« oder »Film Mogul« bezeichnet wird, oder ihm vom Feuilleton die Integrität abgesprochen wird, weil er angeblich jede Art von künstlerischem Anspruch durch den Kommerzwolf gedreht hat, dann schwingt da immer die Unterstellung mit, Bernd sei ein Machtmensch gewesen. Das ist Quatsch. Bernd hat es interessiert, Geschichten zu erzählen, Filme zu machen. Die Machtposition, die er sich innerhalb der Filmindustrie schuf, war dazu da, um dieses Ziel zu verwirklichen. Außerdem ging es ja nicht darum, irgendwelche Filme zu machen, sondern Filme, die er verantworten konnte und wollte. Bernd wollte nicht, dass ein Außenstehender – sei dieser nun Finanzier oder Fernsehredakteur – seinem Regisseur und ihm »d’rein redet«, wie der Film auszusehen hat. Und er wollte sicherstellen, dass sein Regisseur und er denselben Film machen wollten.
Obwohl die Eltern den Sohn aufs Internat geschickt hatten, um seine schulischen Leistungen zu steigern, ließen seine Zeugnisse keine Verbesserung erkennen. Im Gegenteil. Im ersten Jahr im Internat war es nur Latein, in dem er ein »mangelhaft« erhielt. Im Jahr darauf waren es schon Latein und Mathematik. Und so lesen sich die Bemerkungen des Klassenleiters folgendermaßen:
1963 /64: »Vorrücken sehr gefährdet!«
1965: »Vorrücken sehr gefährdet!«
1965 /66:»Vorrücken sehr gefährdet!«
1967: »Vorrücken äußerst gefährdet!«
1967/68: »Vorrücken und Verbleib an einem Gymnasium gefährdet.«
1968 /69: Vorrücken und Verbleib an einem Gymnasium gefährdet! Chemie!«
1969 /70: Bestehen der Reifeprüfung und Verbleib an einem Gymnasium gefährdet!«
Bernds Schulkarriere – ganz offensichtlich eine hochgefährliche Angelegenheit! Man kann aufgrund seiner Zeugnisse mit Gewissheit sagen, dass das akademische Konzept seiner Lehrer bei Bernd nicht anschlug. In den musischen Fächern erhielt er zwar immer ein »gut« bis »sehr gut«, aber in jeder anderen Hinsicht vermitteln seine Zeugnisse vor allem eines: ein totales Desinteresse am Unterricht, insbesondere an Latein – in diesem Fach schnitt er entweder mit einer »Fünf« oder einer »Sechs« ab. Gerade Letzteres lässt sich so gar nicht mit dem Bernd verbinden, mit dem ich verheiratet war. Auf seinem Nachttisch in München lag »De Bello Gallico« von Julius Caesar – auf Latein und in der deutschen Übersetzung –, den er im November vor seinem Tod unbedingt noch einmal lesen wollte. Wahrscheinlich wollte er sich wieder Mut machen für seinen bevorstehenden Film, das Projekt über den Entführungsfall Natascha Kampusch. Jeder neue Film bereitete ihm nämlich große Sorgen und Ängste, zu deren Bekämpfung er Bücher über und von seinen Idolen las – Julius Caesar, Napoleon, Alexander der Große und Reinhold Messner. Bücher über Unterfangen, die anfangs unmöglich schienen, aber dann trotzdem erfolgreich waren. Auf jeden Fall konnte Bernd im Gegensatz zu mir den Anfang von »De Bello Gallico« immer noch auswendig aufsagen. Und das, obwohl ich – auch wenn mir Bernd das nicht glauben wollte – das große Latinum besitze. Erst als ich ihm ein paar Paragraphen übersetzte, hat er es mir geglaubt. Wenn mich eins genervt hat an Bernd, dann dass er immer alles angezweifelt hat und erst einen Beweis brauchte, um sich überzeugen zu lassen. Nun gut. Ich übersetzte Bernd also leicht angenervt ein bisschen aus »De Bello Gallico« und fand’s immer noch genauso öde wie damals im Lateinunterricht. Bernd dagegen verschlang den
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