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BE (German Edition)

BE (German Edition)

Titel: BE (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Eichinger
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einfach guten Rock ’n’ Roll gemacht. Blöd war nur, dass wir uns selbst nicht hören konnten, wenn wir gespielt haben. Das war mit unseren Verstärkern und dem ganzen technischen Gerät damals einfach nicht möglich. Wir haben einfach drauflosgespielt und gehofft, dass es irgendwie gut klingt. Aber das Publikum hat uns ja immer sofort wissen lassen, wenn’s daneben war. Das Tolle am Rock ’n’ Roll ist ja, dass du eben diese Verschmelzung zwischen der Band und dem Publikum hast. Wenn du da auf der Bühne stehst und Musik machst, dann fühlst du körperlich, wie die auf dich reagieren. Wie du das Publikum bei Laune hältst und was eben nicht funktioniert. Und zu spüren, wie du das Publikum hochpushen kannst und wie du durch die Musik mit der Menge verbunden bist, das ist eine absolut erotische Erfahrung.«
    Die erotischen Erfahrungen hörten, wenn man Bernd glauben darf, während dieser Zeit nicht auf der Bühne auf. Bernd lernte die Bedeutung des Wortes »Groupie« kennen. Und auch als er während der Schulferien als Barmann in einer Dorfdisko arbeitete, ließ er es krachen. Die Schule besuchte Bernd während dieser Zeit nur so, dass seine Abwesenheit nicht zu stark auffiel. Bernd war außer Kontrolle, und es war herrlich.
    Als jedoch das Thema Versetzung anstand, endeten Bernds zügellose Eskapaden in einer kreischenden Vollbremsung. Die Eltern waren außer sich: Bernd würde sitzenbleiben. So konnte das alles nicht weitergehen! Der Vater fand es angemessen, seinem aus seiner Sicht missratenen Sohn eine Gardinenpredigt zu halten. Auf der schiefen Bahn werde er landen, warnte der Vater. Zu nichts werde er es bringen, in der Gosse werde er landen, Geschlechtskrankheiten werde er sich zuziehen und elendig verrecken! Während Bernd seinem Vater zuhörte und sich ärgerte, dass dieser wirklich annahm, er wäre so kurzsichtig und würde kein Abitur machen (Bernd hatte schon damals alles andere vor, als es zu nichts zu bringen, und er wusste, das Abitur war sein Führerschein fürs Leben), glitt sein Blick nach unten. Da sah er etwas, das meine Kinnlade hinunterklappen ließ, als ich zum ersten Mal diese Geschichte hörte: Bernds Vater ließ während seiner Gardinenpredigt ein Aufnahmegerät mitlaufen!
    »Mein Vater hat sogar einmal seine Weihnachtsansprache, die er jedes Jahr für meine Mutter, meine Schwester und mich hielt, vorher auf Tonband aufgenommen und dann, als wir alle unterm Christbaum saßen, abgespielt. Die Kerzen haben gebrannt, und er hat sich gemeinsam mit uns angehört, wie seine Stimme aus dem Lautsprecher kam. Und er dachte tatsächlich, es wäre besser so, weil er sich nicht versprechen oder verhaspeln konnte. Weil seine Rede als Aufnahme wirklich perfekt war. Und weil er einfach begeistert von dieser Technik war – dass so was überhaupt funktionierte und er so etwas konnte!«
    Bernd war immer sehr stolz auf seine, wenn auch kurze Rock-’n’-Roll-Karriere. Gerne wäre er professioneller Musiker geworden. Er erkannte jedoch, dass sein Talent möglicherweise nicht ausreichte, um ihn davor zu bewahren, im Meer der extrem fähigen Studiogitarristen zu ertrinken. Später, in den Neunzigern, als er schon über vierzig war und möglicherweise eine Anwandlung von Midlife-Crisis hatte, nahm er sich noch einmal eine Gitarre vor und übte sich so lange die Finger blutig, bis er das gesamte Pink Floyd Album »The Wall« nachspielen konnte. Das war jedoch die einzige Aufwallung des Rockgitarristen in Bernd. Seine Arbeit als Filmemacher ließ kein Hobby zu. Und er konnte es nicht ertragen, dass er das Instrument nicht mehr wirklich beherrschte, dass seine Finger nicht mehr das spielen konnten, was er in seinem Kopf hörte. Eines Abends, als wir in unserem Ferienhaus am Wolfgangsee saßen und es schon eine ganze Woche nur geregnet hatte, nahm Bernd eine herumstehende Gitarre zur Hand. Leider fehlte der Gitarre eine Saite, aber er hat trotzdem zehn Minuten oder so gespielt. Es war magisch und bittersüß. Ich hätte mir gewünscht, dass Bernd noch Zeit gehabt hätte, wieder mit dem Gitarrespielen anzufangen. Aber im Leben wie im Tod ist er seinem Rock-’n’-Roll-Maxim treu geblieben:
     
    Rehearsals are for whimps!
     
    In Deggendorf hatte Bernd die pädagogischen Möglichkeiten der Schule ausgeschöpft. Da war nichts mehr zu machen. Das mussten zum Ende der zehnten Klasse auch Bernds Eltern zugeben. Trotzdem sollte und wollte Bernd das Abitur machen. Also schickten ihn die Eltern auf ein Internat nach

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