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BE (German Edition)

BE (German Edition)

Titel: BE (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja Eichinger
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München, das Augustinum, das an das Erasmus-Grasser-Gymnasium angeschlossen war. Im Sommer vor Bernds Tod sind wir noch mal dorthin gefahren. Ich weiß gar nicht mehr, was der Anlass war. Aber wir hatten so viel über unsere Schulzeit gesprochen, Bernd war wohl einfach neugierig, wie sich das Internat heute für ihn anfühlen würde.
    Erst zeigte mir Bernd, wo sich früher das Café befunden hatte, wo sein Schulfreund Fax und er immer hingeflüchtet waren und Cola getrunken hatten. Nach dem ehemaligen Café gingen wir über den Schulhof des Erasmus-Grasser-Gymnasiums. Es war wie alle Schulgebäude, in denen sich gerade keine Kinder aufhalten: ausgeleiert und so wahnsinnig unbeeindruckend. Wie kann es sein, dass so ein bedeutungslos aussehender Ort einmal so emotionsgeladen für einen sein konnte und letztendlich immer noch ist? Und natürlich fühlten wir uns, wie alle Erwachsenen, wie unbefugte Eindringlinge in dieser Parallelwelt der Jugendlichen. Eine Weile stolperten wir auf dem Schulgelände herum und suchten das Augustinum. Als wir es dann endlich gefunden hatten, war auch das ein surrealer Moment. Bernd war still und lief über das Gelände, schaute sich das Haus von außen an und zeigte auf Dinge, die sich verändert hatten. Er versuchte das Fenster des Zimmers ausfindig zu machen, in dem er gewohnt hatte. Und wir beobachteten die wenigen Kinder, die das Gebäude verließen. Sahen sie glücklich aus? Oder ging in ihnen das Gleiche vor wie damals in Bernd? Was seine Schulzeit anbelangt, so hat Bernd seinen Zorn nie verloren. München war besser als Deggendorf, aber glücklich war er dort nicht. Der Ort war ein Mittel zum Zweck. Bernd wollte sein Abitur machen und dann nichts wie raus.
    Das Erasmus-Grasser-Gymnasium war ein naturwissenschaftliches Gymnasium, obwohl in Bernds Zeugnissen immer wieder zu lesen ist, dass er vor allem in den musischen Fächern Begabung zeigte. Aber Bernd hatte nun mal in Deggendorf kein Französisch gelernt. Ein musisch-sprachliches Gymnasium war daher ausgeschlossen, und wieder war Desinteresse vorprogrammiert. Dementsprechend waren Bernds Schulleistungen. Wie schon in Deggendorf, liest sich auch in München in jedem seiner Zeugnisse »Versetzung sehr gefährdet«. Der einzige Lehrer, von dem sich Bernd erkannt fühlte, war sein Deutschlehrer, der ihn auch animierte kreativ zu schreiben. Wenn er über seine Schulzeit schimpfte und über die Abgestumpftheit des Schulsystems, das seiner Meinung nach die Lust auf Bildung abtötete, anstatt sie zu wecken, dann bildete dieser Deutschlehrer die große Ausnahme. Dieser Lehrer, dessen Namen ich leider nicht kenne, habe als Einziger erkannt – so Bernd –, dass etwas in ihm steckte. Dass er mehr war als nur einer von vielen mit unterdurchschnittlichen Leistungen.
    Während der Oberstufe wurde Bernds Interesse für absurdes Theater geweckt und dabei in erster Linie für Samuel Beckett und Eugène Ionesco. Die übliche Hermann-Hesse-Phase, die man sonst als Teenager durchmacht, hatte er übersprungen. »Demian«, »Siddhartha«, »Narziß und Goldmund« … all die Seelenlandschaften und roman tischen Reflektionen interessierten ihn nicht. Ich kann mich an einen Abend in der Münchner Schumann’s Bar erinnern, als der deutsche Produzent Thomas Wöbke wieder einmal versuchte, Bernd für die Verfilmung von »Narziß und Goldmund« zu interessieren. Bernd wollte davon nichts wissen. Hermann Hesse, das war nicht sein Ding. Das war für ihn das literarische Equivalent zu einem Batikhemd mit Holzperlenkette – ästhetisch dubios.
    »Mit dem absurden Theater konnte ich etwas anfangen, denn die Welt, in der ich mich bewegte, schien mir absurd. Diese absurden Regeln, die ich in der Schule befolgen sollte – das Auswendiglernen von irgendwelchem absurden Wissen. Oder dieses absurde Theater, das sich bei uns zu Hause abspielte, als meine Schwester plötzlich schwanger war. Das Gezeter meiner Mutter, dass ihr meine Schwester so etwas antun könne und dass sie nun ihr Gesicht im Ort verloren hätte, weil Moni ja noch nicht verheiratet war. Das schien mir alles absurd – ich dachte die ganze Zeit: Warum freut sich denn eigentlich niemand, dass da jetzt bald ein Kind zur Welt kommt? Das ist doch was Schönes! Irgendwelchen ausgedachten Regeln und sozialen Normen hinterherzujagen – so absolut jenseits irgendeiner Logik, das war für mich absurd. Lachhaft eigentlich, wenn es nicht so total deprimierend gewesen wäre!«
    Das Bedürfnis, der

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