Beast
habe nicht mal mehr eine bekloppte Familie zum Reden. Ja gut, die Reynolds sind nicht meine richtige Familie, aber hier habe ich wenigstens ein Zimmer, ein paar Sachen und einen Stellplatz für mein Auto. Ich werde bekocht und kann mich am Kühlschrank bedienen. Hier habe ich Jimmy, der immer das Falsche sagt, aber er unterhält sich wenigstens mit mir. Drei Jahre bin ich schon hier. Jetzt bleibt mir nur noch ein Monat. Ich bin siebzehn und das Jugendamt behauptet, sie wären nicht mehr für mich zuständig. In ein paar Wochen soll ich mich mit Kochen, Rechnungen, Steuern, Stromzählern, Miete, Gemeindesteuern, Versicherungen, Arbeitssuche, Sozialhilfe, Vorhängen, Putzmitteln und einem Bankkonto auskennen.
Was verstehe ich schon davon? Ich bin doch kein Erwachsener. Die meisten Jugendlichen in meinem Alter sind grade mal mit der Schule fertig, fangen eine Ausbildung an oder studieren. Jemand bekocht sie und sie gelten immer noch als Kinder. Das weiß ich, weil ich schon in |42| solchen Familien gewesen bin. Ich kenne Siebzehnjährige, die abends um neun zu Hause sein müssen und noch nie Alkohol getrunken oder eine geraucht haben.
Aber das ist nicht das einzige Problem. Von den Reynolds sind es nur gut sechs Kilometer bis zum Stausee. Ich kann jederzeit zum Füttern hin. Ich kann ihn besuchen und mich vergewissern, dass alles in Ordnung ist. Das St. Mark’s ist in der Stadt und von da sind es dreißig Kilometer. Wie soll ich regelmäßig zum Stausee kommen, wenn ich nicht in der Nähe wohne und mir vielleicht kein Auto mehr leisten kann? Ich kann ihn nicht einfach verhungern lassen, jetzt schon gar nicht, wo er womöglich ausbrechen kann. Aber was soll ich machen? Außer mir weiß keiner über ihn Bescheid.
Keiner außer meinem Vater.
|43| Fünf
Im Arbeitsamt war ein Aushang:
Fleischfabrik sucht Aushilfe. Ausdauer und Körperkraft erwünscht. 4,70 Pfund/Std. Einarbeitung vor Ort. Angenommene Bewerber erhalten Gelegenheit, sich zur Fleischereifachkraft weiterzubilden.
Ich musste zugreifen. Es kann ja nicht angehen, dass ich kein Zuhause
und
keinen Job habe. Ich will schließlich nicht als Penner enden wie die ganzen anderen Nieten aus dem Kinderheim.
Heute ist mein erster Arbeitstag. Von den Reynolds sind es ungefähr zehn Kilometer bis zu Marshalls Fleischfabrik. Man fährt durch Gruton, am Stausee vorbei und dann in Richtung Hochmoor. Die Fabrik ist ganz in der Nähe von dem gefluteten Steinbruch, wo Robert immer mit mir zum Baden hinwill. Andauernd liegt er mir damit in den Ohren. Keine Bange, höchstwahrscheinlich gehe ich nie mit ihm dorthin. Robert ist ein miserabler Schwimmer.
Ich fahre an der Parkbucht beim Gruton-Stausee vorbei. Was mein Monster wohl grade treibt? Hoffentlich |44| hält es sich zurück und schläft nach dem üppigen Schweineschmaus erst mal ’ne Runde.
Um sieben Uhr morgens treffe ich in der Fabrik ein. Das lange graue Gebäude sieht aus wie ein Lagerhaus und steht mitten in der Pampa. Ich melde mich bei Naomi, der Vorarbeiterin. Sie ist um die sechzig, ziemlich stämmig und läuft rum wie im Tran. Sie redet, als ob sie gleich einschläft. Sie gibt mir ein Haarnetz, eine weiße Schildmütze aus Nylon, einen weißen Kittel, weiße Gummistiefel und dünne Gummihandschuhe, die wie Kondome riechen. Ich muss sogar ein Bartnetz tragen! Dabei habe ich gar keinen Bart, höchstens ein paar Stoppeln. Naomi sagt, wenn ich keins tragen will, muss ich mich täglich rasieren. Als ich alles angezogen habe, komme ich mir vor wie ein Vollidiot. Du würdest dich kaputtlachen, wenn du mich so sehen würdest. Dann bringt mich Naomi in den Zerlegeraum. Dort stelle ich fest, dass die anderen genauso verkleidet sind, und fühle mich nicht mehr ganz so bescheuert.
Im Radio läuft Orchard FM und die ganzen bulligen Typen trällern fröhlich mit, werfen dabei riesige Fleischbrocken auf Edelstahltische und zerkleinern sie mit großen Beilen. Naomi zeigt auf eine Reihe Leute an einem Tisch und erklärt mir, das wären fast alles Studenten und dass ich dort eingeteilt bin. Es ist eiskalt. Ich hätte zwei T-Shirts übereinanderziehen sollen. Naomi behauptet, es muss aus hygienischen Gründen so kalt sein.
»Man gewöhnt sich dran«, sagt sie und gähnt. »Je schneller man arbeitet, desto wärmer wird einem.«
Gnadenlos, die Frau.
|45| Die Metzger zerteilen also das Fleisch und reichen es weiter, damit das Fett abgeschnitten wird. Wenn sie danebenhauen oder das Fleisch nicht mehr astrein aussieht,
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