Beast
nimmt sie trotzdem.
Ich schmiere mir ein Brot und komme zu dem Schluss, dass ich den Dachs genauso gut heute noch zum Stausee bringen kann, wenn sowieso alle weg sind. Mir kommt der Gedanke, dass er vielleicht umso ruhiger wird, je mehr ich ihn mäste. Offen gestanden ist mir nicht wohl |51| in meiner Haut. Weiß der Himmel, was mein kleiner Liebling mit mir angestellt hätte, wenn er mich zu sich reingezogen hätte. Das ist nun der Dank dafür, dass ich mich schon über sechs Jahre um ihn kümmere. Ich schaue nach draußen, wo Robert auf der Veranda die Zigarette bis zum Filter aufraucht. Am liebsten würde ich ihm zurufen, dass er sich nicht die Finger verbrennen soll. Er ist überhaupt nicht wie mein kleiner Bruder, Chas, obwohl die beiden ungefähr gleich alt sind. Chas lebt bei einer anderen Pflegefamilie. Fast ein Jahr ist er schon da. Seit er dort eingezogen ist, haben wir uns nur ein Mal gesehen. Vielleicht sollte ich ihn mal anrufen, aber dafür müsste ich mir von Mindy die Nummer geben lassen und mit dieser dummen Kuh rede ich nur, wenn es sich gar nicht vermeiden lässt. Chas ist ein niedlicher kleiner Kerl und weckt bei allen Leuten den Beschützerinstinkt. Meine Großmutter war fix und alle, als er weggeholt wurde. Sie hat gesagt, das verstößt gegen die Menschenrechte, aber die vom Amt meinten, es wäre zu riskant. Meine Mum wohnt nämlich bei ihr und sie ist keine besonders gute Mutter. Ich will jetzt nicht näher drauf eingehen, nur so viel: Meine Mum hat immer versucht, sich um uns zu kümmern (im Gegensatz zu meinem Vater). Aber manche Leute, zum Beispiel meine Eltern, sollten lieber keine Kinder bekommen. Wir sind zu dritt: Selby, ich und Chas. Irgendwann ist alles den Bach runter gegangen. Meine Mum kam nicht mehr damit klar. Eigentlich ist sie nie so richtig klargekommen. Sie ist nicht wie andere Mütter. Zum Beispiel rasiert sie sich den Kopf kahl, obwohl sie selber sagt, dass sie es hässlich findet. |52| Na gut. Schluss jetzt. Ich muss mir überlegen, wie ich den Dachs aus meinem Kofferraum und durch die Luke im Käfigdach kriege, ohne dass wieder was schiefgeht.
Ich fahre zum See. Inzwischen ist es fast neun und stockfinster und ich sehe im Scheinwerferlicht etwas über die Straße springen. Heute Abend treibt sich hier alles Mögliche rum. Ich weiß nicht, was mich plötzlich reitet, aber statt auf die Bremse zu treten, gebe ich Gas und halte voll drauf. Ich will es erwischen, egal, was es ist. Ich brauche unbedingt Futter für meinen Kleinen. Ich mäste ihn so, dass er einen ganzen Monat Ruhe gibt. Ich kann mir keine Schweine mehr leisten und ich will auch nicht mehr lange in der Fabrik arbeiten. Was da auch rumspringt, ich mache es platt und bringe es ihm. Solange mein Kleiner satt ist, denkt er nicht ans Abhauen. Es kommt mir vor, als hätte ein Dämon von mir Besitz ergriffen und würde auf die hellen, starren Augen vor mir zuhalten. Es gibt einen Schlag am rechten Vorderrad und ich bremse. Erst mal bleibe ich sitzen. Was habe ich getan? Ich bin ein Mörder. Ich wollte mit voller Absicht ein Tier umbringen. Und zwar keinen Fasan oder solches Kleinvieh, sondern etwas Größeres. Etwas, das meinen Kleinen eine Weile bei Laune hält. Etwas, das ihm den schuppigen Wanst füllt. Was ist bloß in mich gefahren? Ich öffne die Tür und steige aus. Ich bin eben doch krank. Wie die Psychopathen im Heim. Ein kaputter Typ wie Alan Granger. Mein Kopf ist total leer.
Bin ich ab jetzt jemand anders? Jemand, der eines |53| Tages im Knast endet? Jemand, der vor nichts zurückschreckt?
Ich sehe unter dem Rad nach. Es ist kein Hase, kein Fuchs und auch nicht noch ein Dachs. Es ist ein kleiner Hund.
Und er atmet noch.
|54| Sechs
»Tut mir leid, aber du kannst ihn nicht behalten«, sagt Verity und fegt sich die Krümel vom Tisch in die flache Hand. Sie sieht müde aus und hat zerlaufene Wimperntusche auf der Backe. Scheint ja hoch herzugehen auf diesen Tanzabenden.
»Wieso nicht?«, frage ich, obwohl ich die Antwort schon kenne. »Carol hat den Kater und du hast Robert. Warum darf ich kein Haustier haben?«
»Ach, Stephen!« Sie schaut mich mit ihrem berühmten Verity-Blick an. Der soll einen mundtot machen und zur Einsicht bringen. Aber so leicht mache ich es ihr diesmal nicht. Ich weiß, dass ich kein Haustier haben darf, weil ich nicht mehr lange hier wohne, aber ich will, dass sie es ausspricht. Dass sie nicht mehr um den heißen Brei herumredet.
»Morgen bringen wir ihn ins Tierheim. Es
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