Beastly (German Edition)
manche Blödsinn erzählen, aber sie können nicht alle …«
»Man kann sich nicht in einen Computer verlieben. So findet man nicht die wahre Liebe.«
»Die ganze Zeit lernen sich Leute im Internet kennen. Manche heiraten sogar.«
»Es ist eine Sache, sich online kennenzulernen, sich dann persönlich zu treffen und sich dann zu verlieben. Es ist etwas anderes, wenn man eine Beziehung nur übers Internet führt, sich selbst einredet, dreißig Bundesstaaten weiter verliebt zu sein…«
»Was ist der Unterschied? Du denkst, das Aussehen sollte keine Rolle spielen. Im Internet ist das wirklich so. Alles, was zählt, ist die Persönlichkeit.« Dann kapierte ich, was ihr Problem war. »Du ärgerst dich doch nur darüber, dass ich einen Weg gefunden habe, deinen Fluch zu umgehen. Darüber, dass mir eine Möglichkeit eingefallen ist, wie ich ein Mädchen kennenlernen kann, ohne dass es wegen meines Aussehens ausflippt.«
»Das ist es nicht. Ich habe den Fluch ausgesprochen, um dir eine Lektion zu erteilen. Wenn du sie lernst, großartig. Ich lege es nicht darauf an, dass du es versaust; ich versuche dir zu helfen. Aber das hier wird nicht funktionieren.«
»Aber warum nicht?«
»Weil man sich nicht in jemanden verlieben kann, den man nicht kennt. Dein Profil steckt voller Lügen.«
»Du liest meine Mails. Verstößt das nicht gegen…«
»Ich gehe gern aus und feiere mit Freunden …«
»Hör auf!«
»Mein Dad und ich stehen uns wirklich nahe…«
»Sei still! Sei still! Sei still!« Ich hielt mir die Ohren zu, aber sie verhöhnte mich weiterhin. Ich wollte den Spiegel zertrümmern, den Computerbildschirm, alles, aber nur weil ich genau wusste, dass sie recht hatte. Ich hatte nur gewollt, dass sich jemand in mich verliebte, jemand, der den Fluch brechen konnte. Aber es war alles hoffnungslos. Wenn ich online niemanden kennenlernen konnte, wie sollte ich das dann schaffen?
»Verstehst du, Kyle?« Kendras gedämpfte Stimme drang in meine Gedanken.
Ich wandte mich ab und weigerte mich zu antworten. Ich fühlte, wie sich meine Kehle zusammenzog, und ich wollte es nicht hören.
»Kyle?«
»Schon verstanden«, brüllte ich. »Kannst du mich jetzt bitte allein lassen?«
6
Ich änderte meinen Namen.
Es gab keinen Kyle mehr. Von Kyle war nichts mehr übrig. Kyle Kingsbury war tot. Ich wollte seinen Namen nicht mehr benutzen.
Ich schaute im Internet nach, was Kyle bedeutete, und das war letztlich ausschlaggebend. Kyle bedeutete »gut aussehend«. Das war ich nicht. Ich fand einen Namen, der »hässlich« bedeutete, Feo (wer würde sein Kind so nennen?), aber schließlich entschied ich mich für Adrian, das hieß »der Dunkle«. Das war ich, der Dunkle. Alle – und damit meine ich Magda und Will – nannten mich ab jetzt Adrian. Ich war die Dunkelheit.
Und ich lebte in der Dunkelheit. Ich begann, tagsüber zu schlafen. Nachts, wenn man mich nicht so gut sehen konnte, wanderte ich durch die Straßen und fuhr mit der U-Bahn. Das Buch mit dem Glöckner las ich zu Ende (alle starben), dann las ich Das Phantom der Oper. Anders als in der bekloppten Musical-Version von Andrew Lloyd Webber war das Phantom im Buch kein missverstandener, romantischer Versager, sondern ein Mörder, der das Opernhaus jahrelang in Angst und Schrecken versetzt. Dann entführt er eine junge Sängerin und versucht, sie dazu zu zwingen, die Liebe zu sein, die ihm versagt war.
Ich hatte es kapiert. Ich wusste jetzt, was Verzweiflung ist. Ich wusste, was es bedeutete, im Dunkeln herumzuschleichen, nach einem Funken Hoffnung zu suchen und nichts zu finden. Ich wusste, was es bedeutete, so einsam zu sein, dass man töten könnte.
Ich wünschte, ich hätte ein Opernhaus. Ich wünschte, ich hätte eine Kathedrale. Ich wünschte, ich könnte wie King Kong auf das Empire State Building klettern. Stattdessen hatte ich nur die anonymen Straßen von New York mit ihren Millionen dummer, ahnungsloser Menschen. Ich lauerte in den Gassen hinter den Bars, wo Pärchen hingingen, um herumzuknutschen. Ich hörte sie grunzen und stöhnen. Wenn ich ein solches Paar sah, stellte ich mir vor, dass ich der Mann sei, dass die Hände des Mädchens über mich wanderten, dass ich seinen Atem in meinem Ohr spürte. Mehr als einmal stellte ich mir vor, wie es wäre, wenn ich dem Mann die Krallen um den Hals legte, um ihn zu töten, und das Mädchen dann mit zurück in meinen Schlupfwinkel nähme und sie dazu brächte, mich zu lieben, ob sie wollte oder nicht.
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