Beautiful Americans - 02 - Kopfüber in die Liebe
davon ein. Auch wenn die ersehnte Wirkung meist ausbleibt - das halbe Vergnügen ist es allein schon, die Stadt zu erkunden.
Ich kenne mich. Ich weiß, dass mir schon etwas einfallen würde, um Paris nicht verlassen zu müssen. Ich wurde bis jetzt noch nicht offiziell aus dem Programm geworfen. Soweit ich weiß, wissen meine Mom und meine Gasteltern noch nicht mal etwas davon, dass ich durch den Final Comp gerasselt bin. Mme Cuchon hat ihnen vielleicht den Brief wegen der vermasselten Prüfung geschickt, aber sie muss mich ja erst offiziell aus dem Programm nehmen, oder? Und war es nicht immer nur ein Gerücht, dass man aus dem »Programme Américain« geworfen wird, wenn man durchfällt? Vielleicht habe ich ja doch noch eine Chance ...
Ich komme an einem vietnamesischen Lokal mit knallig roten und orangefarbenen Fahnen vorbei. Durch die Fenster sehe ich französische Pärchen, die dampfend heiße Suppen schlürfen.
Als ich Jay erzählt habe, dass ich Halb-Vietnamesin bin, war seine erste Frage, ob ich denn schon banh mi in Belleville probiert hätte. Ich habe ihm gesagt, dass ich nicht mal weiß, was das ist, und Jay war richtiggehend geschockt. Banh mi sei eine Art vietnamesisches Sandwich und gehöre zum Besten an Fast Food, das man in Paris bekommt. Das muss man sich mal vorstellen!
Jays Gastfamilie lebt im Ostteil von Paris, in einem Viertel namens Montreuil, das ich davor noch nie besucht habe. Auch ein anderer Typ aus dem »Programme Américain« lebt dort, und die beiden haben die Immigranten-Enklave ausführlichst erkundet. Jay hat mich zu einem bestimmten Ort geführt, zu einer kleinen Ladenfront, auf dem Boulevard de Belleville, die zwischen einem Reisebüro und einem Waschsalon eingeklemmt ist. Dort konnte ich dann mein erstes banh mi probieren.
Es ist schon lustig: So viele Leute wissen mehr über Vietnam und die vietnamesische Kultur als ich. Und warum auch nicht? Meine Mom hat es dort gehasst, und als sie meinen Vater rausgeworfen hat, war es natürlich nicht ihr höchstes Ziel, mir gerade dieses Land näher zu bringen. Außerdem war sie nur einmal dort. Wenn ich irgendetwas bin, dann französisch-amerikanisch, nicht vietnamesisch-amerikanisch, wenn ich über meine Herkunft nachdenke.
Aber ist es nicht komisch, dass die Vorstellungen anderer Leute einen unterschwellig beeinflussen, wie man sich selbst definiert?
Als ich nach Paris gekommen bin, habe ich Olivia und Zack von Anfang an gemocht. Sie haben mich gefragt, warum ich hergekommen sei, und ich habe ihnen erklärt, dass mein Vater und meine Mom hier gelebt haben, bevor ich geboren wurde. Nie haben sie gesagt: »Aha, was bist du denn dann also?«, so wie es die beiden texanischen Zwillinge getan haben, die mir von da an verhasst waren. Für Olivia und Zack spielte die Tatsache, dass ich weder wie eine Weiße noch wie eine Asiatin aussehe, keine Rolle. Sie ließen sich dadurch zu keinen Mutmaßungen hinreißen, außer vielleicht dazu, dass mein Leben aufregend und anders sei als ihres.
Aber Jays Reaktion war ganz anders als die der anderen, sowohl die meiner Freunde als auch die der ignoranten Leute wie Patty und Tina. Statt es zu ignorieren oder sich darauf zu konzentrieren, wie anders ich aussehe im Unterschied zu ihm, hat er mich ganz offen darauf angesprochen, wie es sei, zu einem Teil Vietnamesin zu sein. Er wollte mehr darüber erfahren, und aus irgendeinem Grund war das ein gutes Gefühl.
Ich kaufe mir ein banh mi to go und esse es auf einer Bank in der Nähe der Couronnes-Station. Dann schiebe ich mich durch das Gedränge auf dem Markt, der den Boulevard de Belleville entlang verläuft und am Place Ménilmontant vorbei, fast den ganzen Weg bis zum Friedhof Père Lachaise. Auf dem Markt sind lauter dunkelhäutige Männer und Frauen, die sich viel Zeit dabei lassen, die besten Produkte zum bestmöglichen Preis zu erwerben. An einigen Ständen wird laut gefeilscht, an anderen sogar richtiggehend gestritten. Kinder betatschen das tunesische und marokkanische Gebäck, in der Hoffnung, dass sie vielleicht eines als Kostprobe geschenkt bekommen. Ein kleines Mädchen, dessen pinkfarbener Trainingsanzug alt und schmuddelig ist, starrt mich an, als ich in meinem schwarzen Wollmantel und meinen sauberen flachen Repetto-Schuhen durch die Menge gehe. Ich lächle sie an und ihre Zähne blitzen weiß auf, als sie mein Lächeln erwidert. Aus irgendeinem Grund ist mir plötzlich zum Heulen zumute.
Das Viertel ist so ganz anders als Cambronne, wo
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