Beautiful Americans - 02 - Kopfüber in die Liebe
mir nicht erzählt, dass ihre Schwester nach Frankreich kommt? Und wieso hat sie Jay diese seltsame Postkarte hinterlassen, wenn sie doch nur in Urlaub gefahren ist? Und warum hat sie Jay gemailt, er solle sie vergessen?
Am Sonntagmorgen schläft Thomas auf der Couch im Wohnzimmer. Ich setze mich in den Lehnstuhl und warte, bis er aufwacht.
»Bonjour«, stöhnt er schließlich verschlafen. »Komm her.«
Ich gehe zu ihm und gebe ihm einen Kuss. »Guten Morgen.«
»Zieh dich an. Ich möchte mit dir wohin fahren.«
Sobald ich angezogen bin, fahren Thomas und ich mit der U-Bahn auf die linke Seine-Seite. Wir sind nicht mehr so zärtlich miteinander wie beim letzten Mal in Paris. Das fällt mir sofort auf. Fast so, als wären unsere Seelen zu müde, zu besorgt, zu aufgewühlt, um Freude am anderen zu empfinden.
An der Station Cluny-La Sorbonne zieht mich Thomas die Stufen hinauf. Oben angekommen, ist der Boulevard Saint- Germain voller Menschen. Entlang der Zäune um die Kirche herum stehen kleine Buden, die Souvenirs und Schmuck verkaufen. Die Läden und Restaurants hier strahlen eine gemütliche Atmosphäre aus. Schließlich ist das eines der meistbesuchten Stadtviertel der Welt. Man hört genauso viel Englisch wie Französisch, aber auch Japanisch, Italienisch, Russisch und viele weitere Sprachen.
Thomas geht von dem belebten Boulevard Saint-Michel weg. Langsam erinnert die Gegend eher an einen College- Campus, mit preiswerten Essensketten voller Studenten, die gerade Pause machen und nicht viel anderes zu tun haben. Und es gibt Geschäfte mit Secondhand-Büchern und -CDs, die auf der Straße Taschenbücher in Kisten für einen Euro pro Stück verkaufen.
»Willst du mir die Uni zeigen?«, frage ich Thomas.
»Das kann ich gern tun, wenn du möchtest.« Thomas biegt wieder in eine Straße ein. »Aber lass uns in den Panthéon gehen zuerst.«
»Okay«, stimme ich zu, auch wenn ich nicht wirklich Lust auf irgendwelche Touristenattraktionen habe.
Das Panthéon ist natürlich eine der Hauptsehenswürdigkeiten von Paris, aber wann immer ich die Beschreibung in meinem Reiseführer gelesen habe, erschien er mir überhaupt nicht interessant.
Es handelt sich um eine neoklassische Halle, in der viele der »bedeutenden Männer« Frankreichs begraben liegen. (Mit Ausnahme von Napoleon, dessen letzte Ruhestätte im Hôtel des Invalides auf der anderen Seite der Stadt liegt, in einem riesigen Grab, das ich auf einem Klassenausflug mit Mme Cuchon und Mlle Vailland, der Geschichtslehrerin, gesehen habe.)
Ich habe eine vage Ahnung, wo das Panthéon liegt, lasse mich aber von Thomas führen.
An den Toren des Jardin du Luxembourg geht Thomas wieder nach links, und da erhebt sich das Gebäude vor uns. Die Straßen laufen sternförmig darauf zu, um es in seiner ganzen Pracht noch hervorzuheben. Eine große Kuppel krönt das Panthéon, das sonst nur ein imposanter französischer Bau wäre.
»Das ist früher mal eine Kirche gewesen«, erzählt mir Thomas, als er für uns beide jeweils ein Studententicket erwirbt. »Aber jetzt ist es eine Ruhestätte für all jene ... verstorbenen Seelen ...«, Thomas sucht nach den richtigen englischen Wörtern, »die alles gegeben haben, um Frankreich Ruhm zu bringen.«
Ich mustere Thomas genau. Meint er es wirklich ernst? Die Art, wie er redet, erscheint mir sehr förmlich, sehr leidenschaftlich, und ich bin mir nicht sicher, ob ich lachen oder in feierlicher Zustimmung mit dem Kopf nicken soll. Geschäftig blicke ich mich um.
In der Mitte des Panthéon befindet sich ein riesiges Pendel, das durch den Hof vor- und zurückschwingt. Alle Besucher bleiben stehen und sehen es eine ganze Weile an, einschließlich Thomas. Es schwingt zur einen, dann wieder zur anderen Seite, immer und immer wieder. Nach mehreren Minuten wendet sich Thomas mir zu und schenkt mir ein breites Lächeln. »Erstaunlich, oder?«
Ich schlucke. »Ja, ganz eindeutig.«
Nachdem Thomas den wunderschönen Marmorboden im Erdgeschoss bewundert hat, bringt er mich in den Mausoleumsbereich im Keller, wo er mir all die bedeutenden Männer Frankreichs zeigt und mir erzählt, was sie getan haben und was sie Besonderes auszeichnet, dass sie in der französischen Geschichte gefeiert werden.
Als wir zum dunklen Holzgrab Voltaires kommen, legt Thomas die Hände auf die glatte Seite und schließt die Augen. Ich bin sicher, dass wir gleich einen Anpfiff bekommen, aber kein Aufseher kommt. Thomas scheint auf irgendeine Art und Weise mit
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