Beautiful Americans 03 - Leben á la carte
was. Dauert nur eine Sekunde.«
»Nein, Zack, schon okay. Ich habe keinen Hunger«, entgegne ich. Und es stimmt. Das Brot hat meinen geschrumpften Magen so schnell gefüllt, dass ich mich fast unwohl fühle. »Ich geh dann jetzt besser. Danke für deine Verschönerung.«
Ich drücke ihm einen Zwanzig-Euro-Schein in die Hand, auch wenn es mich schmerzt, etwas von meinem Fluchtgeld wegzugeben.
* * *
Um die Zeit totzuschlagen, bevor ich im Klub sein muss, will ich mir vom Montmartre-Hügel aus den Sonnenuntergang ansehen. Es tut mir gut, vor meiner Nachtschicht zu Fuß bis zur Sacré Coeur hinaufzulaufen. Dank der steilen, sich windenden Stufen ist es ein recht anstrengender, ablenkender kleiner Marsch. Ich schäme mich noch immer wegen der Krümel. Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist, als ich das Brot gesehen habe. Ich war nicht mal richtig hungrig, glaube ich jedenfalls. Anscheinend kann ich nicht wirklich spüren, wann ich etwas essen möchte. Ich denke auch kaum an Essen.
Oben vom Montmartre-Hügel aus blicke ich über die Skyline von Paris hinweg, und das klare, helle Licht verändert sich durch die untergehende Sonne zu einem verwischten Rosa. Es ist herzzerreißend schön - das genaue Gegenteil von dem Ort, an dem ich zurzeit meine Nächte und einen Großteil meiner Tage verbringe. Und doch befinden sich beide Orte in ein- und derselben Stadt. Wie ist das nur möglich?
Als ich mich zu guter Letzt von dem Blick auf Paris losreiße und hügelabwärts zum Klub gehe, ist noch keiner da. Das ist nicht weiter ungewöhnlich, weil die Tänzer normalerweise erst auf den letzten Drücker eintreffen, und Griselda und Freddie haben anderswo je eine eigene Wohnung. Manchmal kommt der Barkeeper etwas früher und öffnet die Bar, um schon mal ein bisschen durchzulüften (nachdem es ein Privatklub ist, dürfen die Männer hier drinnen rauchen, und davon machen auch viele Gebrauch), damit es nicht so nach abgestandenem Rauch riecht, wenn der erste Kunde kommt.
Die Arbeitsmechanismen und -abläufe in einem Herrenklub sind nicht unähnlich denen eines Kleinunternehmens. Freddie ist der Chef. Er ist ziemlich mürrisch und geht schnell in die Luft. An seinen Angestellten hat er keinerlei echtes Interesse als Menschen. Er leitet den Klub so, als würde er einen Milchbauernhof betreiben. Jede Kuh wird für das Tagesgeschäft in ihrem eigenen kleinen Raum gehalten und dann ohne jegliches Interesse, ob es ihr gut geht, ins Freie gelassen. Wenn ein Mädchen krank ist, schickt Freddie sie in manchen Fällen mit Griselda zum Arzt, aber nur deshalb, weil er, wenn sie für eine Nacht ausfällt, ein Achtel seiner Einnahmen verliert.
Griselda erfüllt die Funktion einer Abteilungsleiterin. Sie sorgt dafür, dass alles einigermaßen ansehnlich aussieht, die Mädchen sich nicht allzu viel beschweren und dass die Bar gut bestückt ist. Sie kassiert das Geld ein und kümmert sich darum, dass alle am Ende der Nacht ihren Lohn erhalten.
Das Stroboskop-Licht in der Bar ist an. In dem Schein kann ich sehen, dass Griselda mir einen Zettel hingelegt hat.
»Viens au bureau quand tu arrives, Fiona. XX Griselda.«
Da ich bisher noch nie im Büro war, nähere ich mich der Tür mit einer gewissen Beklommenheit.
Gibt's Ärger?, denke ich misstrauisch. Und dann, ängstlicher: Werde ich den Job verlieren? Wo soll ich schlafen, wenn ich hier nicht mehr übernachten kann?
Als ich eintrete, hockt Griselda auf dem Ledersofa und sieht ein paar Betriebskostenrechnungen durch. Freddie, der am Tisch sitzt, raucht eine Zigarette.
»Fiona!«, sagt sie herzlich. »Wir haben heute Abend eine kleine Planänderung. Geneviève est malade ce soir. Elle reste chez elle. Du musst heute an ihrer Stelle tanzen.«
»Quoi?« Ich weiche zur Tür zurück. Ich habe gehört, was sie gesagt hat, aber ich verstehe es trotzdem nicht. »Genevieve?« Genevieve ist eine unserer Tänzerinnen. Gestern sah sie noch gesund aus. Vielleicht ein bisschen erschöpft, weil sie tagsüber auf ihren kleinen Sohn aufpassen und dann nachts die ganze Zeit tanzen muss. Aber sie war ganz eindeutig nicht krank.
»Son bébé hat ihr la grippe gegeben«, erklärt Griselda in ihrem sonderbaren Mix aus Englisch und Französisch, der daher rührt, dass sie aus Südspanien stammt: Sie hat Englisch vor Französisch gelernt und vertauscht beides oft, wenn sie spricht. »Sie hätte anrufen sollen früher, um es mir zu sagen, aber das sie hat nicht getan. Alors, maintenant, du musst
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