Beautiful Americans 03 - Leben á la carte
Rouille genommen hat. Sie sind so nett zu mir gewesen, so taktvoll und diskret. Mme Rouille hat mich nie gefragt, wo meine Gastfamilie sei oder sich in irgendeiner Weise darüber beschwert, dass ich so lange bei ihr mitgewohnt habe. Eigentlich hat sie mich kaum je richtig zur Kenntnis genommen. In meiner Angst und Panik frage ich mich, ob sie und Olivia mich auch jetzt so herzlich empfangen würden? Diesmal bedeutet es für mich weit mehr.
Je näher ich Ternes komme, desto überzeugter bin ich, dass Mme Rouille noch immer nicht wissen wird, wer ich genau bin. Im letzten Schulhalbjahr war sie eine recht distanzierte Beschützerin. Warum sollte sich das geändert haben? Und Olivia ist eine echte Freundin. Mitten in der Nacht, selbst mit dem Blut in meinen Haaren von meinem Sturz von der Bühne, gibt es niemanden, der mehr stillen Trost bieten könnte als sie.
Zumindest hoffe ich das, denn ohne Jay habe ich niemand anders, zu dem ich kann.
Ich husche im Eiltempo an den Männern auf den Straßen vorbei und halte dabei den Mantel eng um mich geschlungen. Wenn ich nicht so schnell gehe, könnte man mich ausrauben; oder ich könnte hier direkt auf der Straße umkippen.
»Olivia«, flüstere ich für mich. »Bitte sei zu Hause.«
* * *
Mme Rouille macht mir in einem rosafarbenen Schlafanzug die Tür auf, die drei Zwergpudel zu ihren Füßen. Sie bellen mich nicht an, sondern sind ausnahmsweise mal ganz still. Abgesehen vom Licht im Hausflur ist es stockdunkel im Apartment.
Vielleicht hat sie sie ja doch endlich mal ein bisschen erzogen, denke ich, während die Kopfseite, auf die ich gefallen bin, pochend schmerzt. Zuerst zeigt Mme Rouille keinerlei Anzeichen, dass sie mich erkannt hat. Sie starrt auf das Blut, das aus der Wunde an meiner Stirn läuft und den Hemdkragen durchnässt, der oben aus meinem Mantel ragt.
Dann scheint sie sich wieder an mich zu erinnern.
»PJ?«, fragt sie. »Vous etes l'amie d'Olivia, n'est-ce pas? Ist das Blut?«
»Oui«, antworte ich mit einem Schlucken.
»Pardonnez-moi, cherie«, sagt Mme Rouille. »Aber du warst verschwunden, oder nicht? Was ist mit dir geschehen? Bist du verletzt?« Sie wirft einen Blick hinter mich ins Treppenhaus. »Wer ist bei dir? Sind dir die Marquets auf den Fersen?«
Wieder schlucke ich. »Nein, nein. Ich bin allein. Ist Olivia da?«
»Sie hat sich vorhin nicht gut gefühlt«, erzählt mir Mme Rouille. »Aber ich denke, es geht ihr gut genug, dass du zu ihr kannst. Komm mit.«
In der Wohnung ist es so still, dass ich ihr auf Zehenspitzen folge, aus Angst, irgendein Geräusch zu machen. Hinter uns trotten die Hunde her, noch immer still, aber sehr neugierig.
»Sie schläft«, sagt Mme Rouille, während wir an dem dunklen Wohnzimmer vorbeigehen und an die Tür von Olivias Zimmer gelangen. »Geh ruhig vo-«
Im Schein diverser Lichtquellen, leuchtender Ziffernblätter und Straßenlampen draußen bewegt sich eine merkwürdig windende Masse auf Olivias Bett. Lange starren wir wortlos darauf und versuchen, zu begreifen, was da vor sich geht. Dann rasten die Hunde aus, die zunächst atemlos zu unseren Füßen gewartet haben, und alle drei beginnen laut zu kläffen. Aber es ist kein freudiges Gebell wie beim Anblick einer vertrauten Person, sondern eher eine Reaktion darauf, dass ihr Frauchen zutiefst beunruhigt ist und sie das spüren.
Als Erstes greift sich Mme Rouille wortlos ein Buch in ihrer Nähe und schleudert es mit aller Macht quer durch den ganzen Raum gegen das Fenster. Ich zucke zusammen und warte darauf, dass das Glas zerschmettert. Aber das bleibt aus - dafür kommen die Vorhänge herunter. Sofort durchflutet das Licht der Straßenlaternen den Raum. Erst da stößt Mme Rouille einen zornigen, angewiderten Schrei aus.
»Olivia«, tobt sie. »Geh! Verschwinde auf der Stelle aus meinem Haus!«
Olivia und Thomas springen aus dem Bett. Beide sind nackt und halten die Decke hoch, um sich zu bedecken. Sie tauschen einen absolut schreckerfüllten Blick.
»Es tut mir leid«, sagt Olivia mit stumpfer Stimme.
»Wie konntest du nur?« Mme Rouilles Stimme überschlägt sich fast, während sie gleichzeitig schluchzt. »Olivia, hast du denn gar keine Würde mehr?«
Olivia bleibt der Mund offen stehen. »Wie können Sie so etwas zu mir sagen?«
»Wie konntest du nur noch mehr Probleme in meine Wohnung bringen?« Mme Rouille zeigt auf mich. »Wo du doch weißt, wie sehr ich mich immer bemüht habe, Thomas zu beschützen! Wie kannst du es wagen, ihn zu
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