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Beautiful Losers

Beautiful Losers

Titel: Beautiful Losers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonard Cohen
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mich im Halbnelson von dem nostalgischen Bett und zwang mich, dem großen Badezimmerspiegel entgegenzutreten. Wie durch ein Wunder war die Schlafmütze an meinem drahtig krausen Schamhaar hängengeblieben. Ich schloss die Augen .
    – Autsch!
    – Sieh es dir an. Sieh hin und gesteh. Gesteh, warum du von Charles Axis nichts wissen wolltest.
    – Nein.
    – Er zog den Ringergriff fester.
    – Neiiiin, bitte! Hilfe!
    – Raus damit! Du hast den Gutschein verschmäht, weil du hochmütig warst, stimmt’s? Charles Axis war dir nicht gut genug. In deinem gierenden Hirn hast du nämlich einen unaussprechlichen Wunsch gehütet, du wolltest ein Superheld sein, Blue Beetle oder Captain Marvel. Du wolltest Plastic Man sein. Nicht einmal Robin hätte dir gereicht, unter Batman hättest du es nicht gemacht.
    – Du brichst mir das Kreuz.
    – Du wolltest der Superman sein, der ohne Clark Kent auskommt. Du wolltest gleich auf den ersten Seiten des Comics leben. Du wärst so gern Ibis der Unbesiegbare gewesen, der niemals seinen Ibisstab verlor. Du wolltest PAFF ! POW ! KRACH ! UFF ! GLUPSCH ! am Himmel sehen, zwischen dir und dem Rest der Welt. Dass fünfzehn Minuten am Tag ausreichen könnten, um ein neuer Mensch zu werden, war für dich völlig bedeutungslos. Ich warte auf dein Geständnis!
    – Es tut weh, es tut so weh! Ja, ja, ich gestehe. Ich wartete auf das Wunder. Ich hatte nicht vor, über eine Leiter aus Gutscheinen aufzusteigen. Ich wollte die Augen aufschlagen am Morgen und einen Röntgenblick haben. Ich gestehe es!
    – Gut.
    Er verwandelte den Halbnelson in eine Umarmung und drückte mich an sich. Meine Finger kamen im Halbdunkel meines Porzellangefängnisses bestens zurecht. Ich öffnete den obersten Haken seiner hautengen, gürtellosen Hose und schnippte zugleich die Schlafmütze weg, die wie ein herbstliches Feigenblatt in einer nudistischen Utopie zwischen meinen nackten Zehen und seinen Schuhen landete. Er hatte noch immer das seltsame Lächeln auf den Lippen, das mir schon zu Anfang aufgefallen war.
    – Ach, mein Freund, wie lange ich auf dieses Geständnis gewartet habe.
    Eng umschlungen spazierten wir durch die engen Gassen des Montrealer Hafenviertels. Wir sahen zu, wie der Weizen aus riesigen Duschköpfen in die Laderäume chinesischer Frachter stürzte. Wir betrachteten die geometrischen Formationen von Seemöven, die über einem Mittelpunkt aus Müll perfekte Kreise zogen. Wir sahen Passagierschiffen nach, die hupend den breiter werdenden St. Lawrence hinunterfuhren, die immer kleiner wurden, klein und leuchtend wie Kanus aus Birkenrinde, wie winzige Schaumkronen, bis sie im hellroten Dunst der fernen Hügel untergingen.
    – Warum grinst du eigentlich die ganze Zeit so komisch? Kriegst du nicht bald Krämpfe?
    – Ich grinse, weil ich glaube, dass ich dir endlich genug beigebracht habe.
    Arm in Arm stiegen wir die Straßen hinauf, die zum Mount Royal führen, dem Berg, nach dem unsere Stadt benannt ist. Noch nie hatten die Geschäfte auf der Ste. Catherine Street so freundlich geleuchtet, noch nie war das Gedränge der Mittagspause so friedlich vonstattengegangen. Ich hatte das Gefühl, dies alles zum ersten Mal zu sehen, die Farben, bunt wie die ersten Tupfer auf dem weißen Fell des Rentiers.
    – Komm, wir kaufen uns Hot Dogs aus dem Dampf, bei Woolworth.
    – Gut. Wir essen sie mit überkreuzten Armen und riskieren was mit dem Senf.
    Wir liefen über die Sherbrooke Street nach Westen, in die englischsprachigen Viertel. Etwas lag in der Luft, wir spürten es sofort. An der Ecke des Parc Lafontaine hörten wir die Rufe von Demonstranten.
    – Québec Libre!
    – Québec Oui, Ottawa Non!
    – Merde à la reine d’angleterre!
    – Elizabeth Go Home!
    Die Zeitungen hatten gerade berichtet, dass Queen Elizabeth sich in Kanada angekündigt hatte, der Staatsbesuch war für Oktober geplant.
    – Das ist ein bösartiger Auflauf, F., lass uns schneller gehen.
    – Nein, es ist ein sehr schöner Auflauf.
    – Warum?
    – Weil sie sich für Schwarze halten, ein besseres Gefühl kann man in unserem Jahrhundert gar nicht haben.
    F. zog mich bis an den Rand des Aufruhrs mit, wir gingen noch immer Arm in Arm. Viele der Demonstrierenden trugen Sweatshirts, auf denen QUÉBEC LIBRE stand. Mir fiel auf, dass alle einen Steifen hatten, selbst die Frauen. Auf dem Sockel eines Denkmals stand ein bekannter junger Filmregisseur, der vor der jubelnden Versammlung redete. Er trug einen dünnen, akademischen Kinnbart und eine

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