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Beautiful Losers

Beautiful Losers

Titel: Beautiful Losers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonard Cohen
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kampfgerechte Lederjacke, wie man sie in den Korridoren der Staatlichen Filmförderung anzutreffen pflegt. Seine Worte waren deutlich zu hören. F.s fester Judogriff warnte mich, gut zuzuhören.
    – Geschichte!, rief der junge Mann über unsere Köpfe hinweg. Was haben wir mit der Geschichte zu schaffen?
    Die Frage schürte das Feuer.
    – Geschichte!, riefen sie ihm entgegen. Gebt uns unsere Geschichte zurück! Die Engländer haben unsere Geschichte gestohlen!
    F. zog uns tiefer ins Gewühl, es nahm uns selbstverständlich auf, wie Treibsand, der ein Monster schluckt, das aus einem Labor entkommen ist. Die durchdringende Stimme des jungen Mannes hing über uns wie ein Schriftzug am Himmel.
    – Geschichte!, fuhr er fort. Die Geschichte hat bestimmt, dass in der Schlacht um einen Kontinent der Indianer dem Franzosen unterliegen sollte. 1760 bestimmte die Geschichte, dass der Franzose dem Engländer unterliegen sollte.
    – Buuuuh! Sie sollen hängen, die Engländer!
    Ich verspürte einen ganz leichten Kitzel an meinem Steißbein und rieb mich ganz sanft am dünnen Nylonkleid einer hinter mir jubelnden Fanatikerin.
    – 1964 bestimmt die Geschichte – nein, befiehlt die Geschichte, dass die Engländer dieses Land abtreten, das sie so lückenhaft geliebt haben, dass sie es dem Franzosen abtreten, dass sie es uns abtreten!
    – Bravo! Mon pays malheureux! Québec Libre!
    Ich spürte, wie sich eine Hand von hinten in meine Hose schob, die Hand einer Frau, die Nägel waren glatt und liefen schmal zusammen wie ein Flugzeugrumpf.
    – Fickt die Engländer!, rutschte es mir heraus.
    – Ganz genau, flüsterte F.
    – Die Geschichte bestimmt Verlierer und Sieger, die Geschichte wägt nicht ab, sie stellt nur die Frage, wer als Nächstes an der Reihe ist. Freunde, ich stelle euch eine Frage, eine einfache Frage: Wer ist heute an der Reihe?
    – Wir! Wir! Wir!, lautete die einstimmige, ohrenbetäubende Antwort.
    Ich war längst ein glücklicher Bestandteil dieser Menge geworden, die jetzt noch massiver gegen das Denkmal drängte, es war, als säßen wir wie eine Mutter auf einem Gewinde, und die Stadt, die wir so gern besessen hätten, war der Schraubenschlüssel, der uns immer fester zog. Ich lockerte den Gürtel, um ihrer Hand mehr Spielraum zu geben. Ich traute mich nicht, mich umzudrehen und sie anzusehen. Ich wollte nicht wissen, wer sie war – nichts schien mir unerheblicher in diesem Moment. Ich spürte ihre Brüste, die hinter einem Hauch von Nylon gegen meinen Rücken pressten und runde, feuchte Schweißflecken hinterließen.
    – Gestern war der anglo-schottische Bankier an der Reihe, den Hügeln von Montréal seinen Namen aufzudrücken. Heute ist der Nationalist von Québec an der Reihe, der seinen Namen auf den Pass der neuen Laurentinischen Republik prägen wird!
    – Vive la République!
    Jetzt wurde es uns endgültig zu viel. Beinahe wortlos brüllten wir unsere Zustimmung. Die kühle Hand drehte sich und schmiegte sich an mich, sie hatte jetzt freie Bahn in die krausen Abgründe. Vor uns sprangen Hüte wie Popcorn in die Luft, keinen kümmerte es, ob er seinen eigenen zurückbekam, die Hüte gehörten uns allen.
    – Gestern waren die Engländer an der Reihe, sich an unschuldigen französischen Mädchen in den Dörfern von Gaspé zu vergehen. Gestern waren die Franzosen dran, sich mit Aristoteles und schlechten Zähnen abzufinden.
    – Buuuuh! Schande! An die Wand!
    – Ich roch ihren Schweiß und den Duft ihres Geburtstagsparfüms, was mich in seiner Intimität mehr erregte, als wenn sie mir ihren Namen verraten hätte. Sie begann, ihr Schambein gegen die eigene, vom Hosenstoff bedeckte Hand zu drücken, um, sagen wir, das Abfallprodukt ihres erotischen Einbruchs zu ernten. Ich reichte mit meiner freien Hand hinter sie und packte ihre linke, florale Pobacke wie einen Football, wir waren unzertrennlich.
    – Heute sind die Engländer an der Reihe, sie dürfen in dreckige Häuser ziehen und französische Bomben aus ihren Briefkästen ziehen.
    F. hatte sich gelöst, um noch näher an den Redner heranzukommen. Ich schob die rechte Hand nach hinten durch und platzierte sie auf der zweiten Pobacke. Ich schwöre, wir waren Plastic Man und Plastic Woman, es schien mir zu gelingen, sie überall auf einmal zu berühren, während sie sich ohne jede Schwierigkeit in meiner Unterwäsche zurechtfand. Wir begannen uns rhythmisch zu bewegen, ließen uns mitreißen vom Atem der Menge, von dieser großen Familie, die unser

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