Beautiful Losers
ἐγῶ εἰμί πάντα γεγονός καί ὂν καί ἐσόμενον καί τό ἐμόν πέπλον οὐδείς τῶν θνητῶν ἀπεκαλυφεν!
– Ist das dein Ernst? Wenn das wirklich stimmt, bin ich gerade mal würdig, dir die Zehen zu küssen.
– Fröhliches Wackeln.
Später, immer später.
Ich erinnere mich an eine Geschichte, die du mir einmal erzählt hast, alter Kumpel, es ging um die Vorstellung, die die Indianer vom Tod hatten. Die Indianer glaubten, dass der Geist nach dem körperlichen Tod eine lange Reise zum Himmel macht. Es war eine beschwerliche, gefährliche Reise, die viele nicht schafften. Ein reißender Fluss musste durchquert werden, auf einem Baumstamm, der in Stromschnellen hin und her geworfen wurde. Ein riesiger, heulender Hund stellte den Verstorbenen nach. An einer Stelle war der Pfad sehr eng, auf beiden Seiten befanden sich tanzende Felsblöcke, die immer wieder aufeinanderprallten und den Pilger, der nicht tanzen konnte, zermalmten. Die Huronen glaubten, dass am Rand dieses Pfades eine Hütte aus Rinde stand. Hier wohnte Oscotarach. Der Name bedeutet Schädelbohrer. Seine Aufgabe bestand darin, allen, die vorbeikamen, die Hirne aus den Schädeln zu entnehmen, als »notwendige Vorbereitung auf die Unsterblichkeit«.
Überleg doch mal. Vielleicht ist das Baumhaus, in dem du mit deinem Leid allein bist, die Hütte des Oscotarach. Du hast nur nicht gewusst, dass es so langsam, so unbeholfen vor sich gehen würde. Immer wieder saust der stumpfe Tomahawk auf den grauen Brei nieder. Der Mondschein versucht in deinen Schädel vorzudringen. Die Straßen des eisig glitzernden Himmels drängen in deine Augenhöhlen. Die kalte Nachtluft, wie »Diamanten in einer Lösungsflüssigkeit«, versucht die leere Schale zu fluten.
Überleg doch mal. War ich dein Oscotarach? Ich hoffe es sehr. Die Operation ist noch in vollem Gange, Liebster. Ich bin bei dir.
Die Frage ist, wer die Operation an Oscotarach vornehmen könnte. Wenn du weißt, was ich meine, weißt du, wie schwierig meine eigene Situation ist. Für meine eigene Operation musste ich mich dem Staat und seiner Vormundschaft anvertrauen. Für mich war das Baumhaus zu einsam: Deshalb musste ich in die Politik gehen.
Die Politik hat mich allerdings nur an einer Stelle erleichtert: Sie hat mir den linken Daumen genommen (was Mary Voolnd nicht zu stören scheint). Der Daumen meiner linken Hand verfault wahrscheinlich gerade auf einem Dach irgendwo in der Innenstadt von Montréal, vielleicht sind nur noch ein paar Splitter übrig, in einer Rußschicht in einem Ofenrohr. Das wäre dann mein Reliquienschrein. Barmherzigkeit, mein Freund, Barmherzigkeit für die Ungläubigen. Das Baumhaus ist sehr klein, wir aber, die wir nach dem Himmel in unseren Köpfen dürsten, sind viele.
Mit meinem Daumen flog auch der Körper der englischen Königin in die Luft, der in Kupfer auf der Sherbrooke Street – mir wäre Rue Sherbrooke lieber – stand.
RUUUUMS ! WUUUUUSCH !
Jedes Stück dieses hohlen, stattlichen Körpers, der so lange wie ein Fels im sauberen Strom unseres Blutes und unseres Schicksals gesessen hat – SPRITZ ! SPRITZ ! Dazu der Dau men eines Patrioten.
Wie es geregnet hat an jenem Tag. All die Regenschirme all der englischen Polizisten konnten die Stadt nicht vor diesem Klimawechsel schützen.
QUEBEC LIBRE !
Zeitzünderbomben!
QUEBEC OUI OTTAWA NON.
Zehntausend Stimmen, die eigentlich nichts anderes konnten, als einen Gummipuck zu begrölen, der an der Schutzkleidung des Torwarts vorbeirutscht, sangen: MERDE LA REINE D’ANGLETERRE.
ELIZABETH GO HOME.
Auf der Rue Sherbrooke ist ein Loch. Einst war dieses Loch mit der Statue einer fremden Königin gestopft. Dann wurde an dieser Stelle eine Saat gepflanzt, die uns eines Tages eine prächtige Ernte bescheren wird.
Ich wusste genau, was ich tat, als ich die Bombe in den kupfergrünen Faltenwurf ihres Schoßes klemmte. Eigentlich gefiel mir die Statue ganz gut. Ich habe im Schatten ihrer königlichen Schutzherrschaft nicht wenige studentische Fotzen befingert. Ich bitte dich also, Barmherzigkeit walten zu lassen, mein Freund. Wir, die wir nicht im reinen Licht wohnen, müssen uns mit Symbolen begnügen.
Ich habe nichts gegen die Königin von England. Selbst in der Tiefe meines Herzens habe ich ihr nie übel genommen, dass sie nicht Jackie Kennedy war. Ich halte sie sogar für eine sehr galante Lady, auch wenn ihr von dem Modeschöpfer, der ihre Jacken
Weitere Kostenlose Bücher