Becky Brown - Versprich, Nach Mir Zu Suchen!
überdrüssig werden, aufgeben und sich davonmachen.
Aber das Gegenteil war der Fall. »Mensch, Becky! Nun mach doch mal nicht aus einer Mücke einen Elefanten! Ich habe doch gerade gesagt, dass es mir Leid tut. Was willst du denn noch mehr?«
Becky reagierte nicht.
»Okay, dann sage ich es jetzt noch einmal: Es tut mir Leid, wenn ich damals deine Gefühle verletzt habe, was wirklich nicht meine Absicht gewesen ist, und ich entschuldige mich in aller Form dafür.« Er gab einen lauten Stoßseufzer von sich. »So, können wir jetzt vernünftig miteinander reden? Oder bist du so unversöhnlich, dass du noch nicht mal eine ehrliche Entschuldigung annimmst?«
Es wäre Becky lieber gewesen, wenn er sich nicht bei ihr entschuldigt hätte. Dann hätte sie ihn weiter ignorieren können. Doch jetzt wäre das in der Tat unversöhnlich und charakterlos.
Immerhin konnte sie nun stehen bleiben und sich eine Atempause gönnen. »Also gut, deine Entschuldigung ist angenommen, Harvey Willard«, sagte sie sehr reserviert. »Und dabei belassen wir es auch gleich. Denn ich wüsste nicht, was wir sonst noch miteinander zu reden hätten!«
Ein zaghaftes, vorsichtiges Lächeln zeigte sich auf seinem Gesicht. »Na, das kann man doch erst wissen, wenn man sich richtig kennen gelernt hat... Warum steigst du nicht einfach auf? Ich bringe dich nach Hause... sozusagen als Wiedergutmachung für meine blöden Spöttereien.«
Das Angebot war verlockend, zumal der Himmel sich im Nordwesten mehr und mehr verdunkelte und baldigen Regen versprach. Doch Becky zögerte. Ihr Stolz lehnte sich dagegen auf, sich ausgerechnet von Harvey davor bewahren zu lassen, auf dem Heimweg von einem heftigen Regenschauer überfallen zu werden.
»Bitte, tu mir den Gefallen und steig auf!«, bat er eindringlich. »Es sieht nach einem handfesten Gewitter aus. Wir sollten uns beeilen. Und ich würde mich viel besser fühlen, wenn ich wüsste, dass ich dich einigermaßen trocken nach Hause gebracht habe. Bitte sei vernünftig - und gib mir eine Chance, Becky!«
Sein ehrlich bittender, ernster Tonfall gab den Ausschlag. »Also gut«, sagte sie und stieg zu ihm auf den Buggy, der seine besten Zeiten schon vor vielen Jahren gesehen hatte. Von dem einstigen Polster auf der Bank und der Rücklehne zeugten nur noch erbärmliche Reste, die hier und da unter den Köpfen rostiger Nieten hervorschauten. Und die Segeltuchplane über ihren Köpfen war zwischen den vielen eingesetzten Flicken so verschlissen und dünn, dass Becky meinte, durch den Stoff die dunklen Regenwolken über den Himmel ziehen zu sehen.
Als sich der Apfelschimmel ins Geschirr legte und der Buggy anruckte, rutschte ein dickes Buch unter Harveys hüftlanger Jacke hervor und geriet dabei gefährlich nahe an die Kante der Sitzbank.
Geistesgegenwärtig streckte Becky die Hand danach aus und hielt es fest. »Ist das dein Buch?«, fragte sie mit einem Stirnrunzeln.
»Ja... das heißt nein. Gehören tut es mir nicht. Ich habe mir den Roman gerade bei Missis Reynolds ausgeliehen. Du hast doch bestimmt gehört, dass Missis Reynolds eine Leihbücherei aufbaut, oder?«
Sie nickte. Dorothy Reynolds war die Ehefrau von Reverend Edward Reynolds, dem Geistlichen von St. Mark. Der Aufbau einer gut bestückten Gemeindebücherei lag ihr ganz besonders am Herzen. Immer wieder bat sie eindringlich um Spenden für ihr Lieblingsprojekt, ohne damit bei den Farmern und Dorfbewohnern jedoch auf allzu viel Gegenliebe und finanzielle Großzügigkeit zu stoßen. Die meisten hielten Bücher, zumal Romane, für städtische Hoffart und unnützen Tand und ihre Lektüre bestenfalls für reine Zeitverschwendung. Das einzige Buch, das nicht unter dieses allgemeine harsche Urteil fiel, war die Heilige Schrift.
»Du liest Romane?«, fragte sie verwundert. Nie wäre es ihr in den Sinn gekommen, ihn mit Büchern in Verbindung zu bringen.
Er warf ihr einen verlegenen Seitenblick zu. »Na ja, ich muss gestehen, dass ich eine große Schwäche für Romane habe«, sagte er, als müsste er sich dafür entschuldigen. »Ich kann mich in gute Geschichten richtig vergraben und alles um mich herum vergessen. Die Leidenschaft für Bücher habe ich wohl von meiner Mutter geerbt - zum Leidwesen meines Vaters. Aber da er sich nicht beschweren kann, dass ich tagsüber nicht hart genug arbeite, lässt er mich mittlerweile in Ruhe, wenn ich mich abends mit einem Buch in meine Ecke verziehe.«
Becky nahm das Buch auf. »Das ist ja Onkel Toms Hütte von
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