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Becky Brown - Versprich, Nach Mir Zu Suchen!

Titel: Becky Brown - Versprich, Nach Mir Zu Suchen! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
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seine Entschlossenheit, mit den Problemen allein fertig zu werden, sich durchzukämpfen und die Farm jedes Jahr ein wenig ertragreicher zu machen, viel zu groß.
    Aber weder derlei ernste Themen noch ihrer beider Leidenschaft für Bücher standen im Vordergrund, wenn sie sich trafen. Es gab noch so vieles andere, was Beckys Neugier entzündete und was die knappe Zeit mit ihm kurzweilig ausfüllte. Sie teilten eine tiefe Liebe für die großartige, manchmal sogar Furcht einflößende Natur, die in ihren Augen voll unzähliger Wunder und Rätsel war und täglich, ja stündlich etwas anderes bot, über das sich zu reden und zu staunen lohnte, wenn man nur die Augen und Ohren offen hielt.
    Er war es, der ihr gleich bei einer ihrer ersten Begegnungen erklärte, was es mit dem seltsamen, unangenehm intensiven Geruch auf sich hatte, den einige der auswärtigen Schüler morgens mit in den Klassenraum brachten.
    Er lachte. »Die haben morgens bestimmt erst mal ihre Fallen kontrolliert und wohl das eine und andere Stinktier in ihren Schlingen gefunden!«
    »Der Gestank kommt von Stinktieren?«
    Harvey nickte. »Ganz sicher. Ich weiß doch, wie es morgens im Herbst und Winter oft in der Schule riecht. Jedes Kind legt Schlingen aus, um Kaninchen, Otter und vor allem Skunks zu fangen. Deren Pelze bringen nämlich den besten Preis. Und je breiter der weiße Streifen auf dem Rücken ist, desto mehr ist das Fell wert.«
    In diesem ersten Winter in Indiana lernte Becky auch Harveys Indianerfreund näher kennen. Harvey fuhr mit ihr zum Cedar Bluff Forest, wo die Hand voll primitiver Hütten der kleinen Delawarensippe am Saum eines Waldstückes standen. Es war ein kalter, aber herrlich klarer Dezembertag, als sie Moharala zum ersten Mal wieder seit dem Zwischenfall auf der Farm gegenüberstand. Sie fühlte sich sehr unwohl und befangen. Aber das mulmige Gefühl und die Verkrampfung verflogen schnell, als sie in der verräucherten Rindenhütte des Delawaren saß, auf einem Streifen sonnengetrocknetem Wildbret kaute und seinen Geschichten lauschte.
    Zu ihrem großen Erstaunen sprach Moharala, der zwei Jahre älter war als Harvey, fließend und fast fehlerfrei Englisch und bezeichnete sich sogar als Christ, ohne deshalb jedoch den alten traditionellen Stammesgebräuchen zu entsagen. Er gehörte zum Truthahn-Clan der Delawaren, der schon zur Zeit seines Großvaters von englischen und französischen Missionaren zum Christentum bekehrt worden war - zumindest in einer Form, die mit indianischen Glaubensvorstellungen verschmolzen war. Sein Clan hatte in den vergangenen fünfzehn Jahren durch Epidemien viele Mitglieder verloren. Die wenigen, die von seiner Sippe übrig geblieben waren, hatten sich in kleine Gruppen aufgelöst und in alle Winde zerstreut.
    Von Moharala erfuhr Becky, dass sich die Delawaren selbst Lenape nannten und dass sein Name »Großer Vogel« bedeutete. Und er war, ganz wie Harvey gesagt hatte, in der Tat ein großartiger Erzähler. Stundenlang konnte er von Heldentaten auf Beute- und Kriegszügen gegen andere Indianerstämme sowie von den Legenden und Mythen der Delawaren erzählen, die ihre Stammesgeschichte bildeten und mündlich von Generation zu Generation weitergegeben wurden. Er sprach bedächtig, als müsste er jedes Wort vor dem Aussprechen erst einmal sorgfältig auf sein Gewicht prüfen, und mit vielen Pausen, ohne dass dies jedoch die Spannung seiner Geschichten schmälerte. Auch verstand er sich darauf, den Ruf eines jeden Vogels oder Tieres täuschend ähnlich nachzumachen.
    Aber sosehr Becky die Freundschaft mit Harvey und die Bekanntschaft mit Moharala dabei halfen, die langen Monate des Winters mit menschlicher Wärme und Bedeutung zu füllen, so wurde ihr im Februar und März doch das Warten auf den neuen Frühling unerträglich lang. Nicht weil ihr die Kälte und die Erstarrung der Natur zusetzten, sondern weil sie auf ein Wiedersehen mit ihrem Bruder hoffte.
    Im April jährte sich der Tag ihrer Trennung. Und an diesem Tag wollte sie bei Daniel sein - und ihn mit ihrem Besuch überraschen. Über ein wenig eigenes Geld konnte sie ja verfügen, hatte sie doch all die Monate jedes Mal ihren Anteil vom Verkauf der Eier erhalten. Für eine Fahrkarte in der einfachsten Klasse mochte es wohl reichen.
    Zwar hatte sie noch nicht mit Winston und Emily über ihr Vorhaben gesprochen, weil sie es für unklug hielt, sie schon so früh mit ihrem nicht gerade bescheidenen Wunsch zu konfrontieren. Sie wusste nur zu gut,

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