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Becky Brown - Versprich, Nach Mir Zu Suchen!

Titel: Becky Brown - Versprich, Nach Mir Zu Suchen! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
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Jahren wieder ein Schulzimmer.
    Für sie war es ein ganz besonderer Freudentag, nicht nur wegen des ausnehmend hübschen Kleides, das Emily ihr genäht hatte. Sie brannte förmlich darauf, wieder die Schulbank zu drücken und etwas zu lernen, das ihren Geist beflügelte. Vor allem auf Geschichte, Geografie und das Lesen von Erzählungen und Gedichten freute sie sich.
    Da sie die meisten Kinder von den umliegenden Farmen im Laufe des vergangenen halben Jahres bei Hochzeiten, Beerdigungen und anderen Zusammentreffen kennen gelernt hatte und beim sonntäglichen Kirchgang auch schon mit den Jungen und Mädchen aus dem Dorf zusammengekommen war, fühlte sie sich nicht als Fremde, die von allen kritisch beäugt und mit tausend Fragen gelöchert wurde. Dass sie das »Mädchen aus dem Waisenzug« war, das die kinderlosen Newmans bei sich aufgenommen hatten, gehörte längst zu den uralten Geschichten des vergangenen Frühjahrs, über die damals lange genug geredet worden war und die nun keinen mehr interessierten. Und als ihre verwitwete Lehrerin Missis Sundrake am ersten Schultag jeden mit Namen aufrief und aufstehen ließ, las sie nicht den Namen »Becky Brown« von ihrer Liste, sondern rief: »Becky Newman!«
    Überhaupt war Missis Cecilia Sundrake eine bemerkenswerte Frau von fünfundvierzig Jahren. Nichts täuschte so sehr wie ihr unscheinbares Äußeres und das ewige triste Grau und Schwarz ihrer Witwenkleidung, an der sie auch jetzt noch, zwölf Jahre nach dem Tod ihres Mannes Victor, unbeirrt festhielt. Sie unterrichtete nicht nur alle Kinder zwischen sechs und sechzehn gemeinsam in dem einen Klassenraum des kleinen, schuppenartigen Schulhauses hinter der Kirche St. Mark, sondern sie behielt auch mit einer bewundernswerten Mischung aus Strenge, Feingefühl und Begeisterungsfähigkeit alle Altersgruppen gleich erfolgreich unter Kontrolle.
    Vom ersten Tag an fühlte sich Becky sehr wohl in dem Klassenraum, so primitiv dort auch alles war. Aufmerksam hing sie an Cecilia Sundrakes Lippen und sog jedes Wort wie köstlichen Nektar in sich auf, als müsste sie einen unermesslichen, inneren Durst stillen.
    Es kümmerte Becky auch nicht, dass sie viel nachzuholen hatte und deshalb vorne links bei den viel jüngeren, zehn- und elfjährigen Kindern saß und nicht hinten rechts bei Amanda Fleming, Alice Orville und den anderen Jugendlichen ihres Alters. Überhaupt wieder zur Schule gehen und lernen zu dürfen empfand sie als großartiges Geschenk. Und deshalb verstand sie auch nicht, dass andere in der Klasse wenig Interesse am Unterricht zeigten und ihre Hausaufgaben so lustlos und schlampig verrichteten wie Amanda. Es war ihr ein Rätsel, warum jemand freiwillig dumm und unwissend bleiben wollte, obwohl man ihm die Chance bot, etwas zu lernen und den Dingen der Welt auf den Grund zu gehen. Und wie konnte man das ohne das Rüstzeug eines möglichst großen Wissens? Sie hatte in den Jahren als Zeitungsmädchen beim Überfliegen der Artikel zwar viel aufgeschnappt, aber sie machte sich nichts vor. Sie wusste, wie groß ihre Unwissenheit in vielen Bereichen noch immer war, und sie lernte mit Begeisterung. Und dass auch Daniel mit Freude in Pleasantville zur Schule ging und gute Fortschritte machte, war ihr eine große Beruhigung.
    Zu Fuß war es von der Farm etwas mehr als eine gute drei viertel Stunde bis nach Winchester, sofern man einen flotten Schritt beibehielt und entlang des Weges nicht trödelte. Manchmal hatte sie Glück, dass ein Farmer, der sich mit seinem Buggy oder mit einem Fuhrwerk ebenfalls auf dem Weg nach Winchester befand, sie mitnahm. Und gelegentlich ersparte ihr Amanda den langen Fußweg. Denn der Nachbarstochter standen ein eigenes Pferd und ein eigener Buggy zur Verfügung, die sie von ihrer gut gestellten Tante in Fairfax zum vierzehnten Geburtstag geschenkt bekommen hatte. Aber Amanda war von sehr launischer Natur und zudem absolut unzuverlässig, sodass Becky nie darauf bauen konnte, dass sie auch tatsächlich pünktlich an der Wegkreuzung erschien, damit sie rechtzeitig zum Schulbeginn in Winchester eintrafen. Nicht einmal nach dem Unterricht war auf Amanda Verlass, denn häufig machte sie sich nicht gleich auf den Heimweg, sondern verbrachte noch einige Zeit mit Alice Orville und ihren anderen Freundinnen aus dem Dorf.
    Aber Becky machte der lange Fußmarsch nichts aus, vor allem nicht bei klarem und trockenem Wetter. In New York hatte sie jeden Morgen und jeden Nachmittag viele Stunden lang durch die

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