Becky Brown - Versprich, Nach Mir Zu Suchen!
großen Mühen anschaffen. Du willst Herr im Haus sein? Dann hör mit dem Trinken auf und fang endlich an, dich entsprechend zu...«
Weiter kam sie nicht, denn in diesem Moment traf sie die Faust des Vaters ins Gesicht. »So sprichst du nicht mit mir!«, brüllte er in blinder Rage, riss sie an den Haaren hoch und schlug wild auf sie ein.
Die Schreie der Mutter, die sich hilflos unter dem Hagel der Schläge wand, gingen Becky wie Dolchstiche durch die Seele. Wie gelähmt vor Entsetzen, stand sie da. Sie sah, wie die derben Fäuste des Vaters auf ihre Mutter niedergingen, und konnte doch nicht glauben, was sich da Grauenhaftes vor ihren Augen abspielte. Der Vater hatte die Mutter schon des Öfteren geschlagen, aber noch nie mit solcher ungezügelten, mörderischen Wut. Es war ein grässlicher Albtraum - der doch Wirklichkeit war!
Daniel reagierte noch vor ihr. Obwohl er wusste, dass er der Körperkraft des Vaters nichts entgegenzusetzen hatte, zögerte er nicht, den Vater anzuspringen und sich in seiner Kleidung zu verkrallen. Dieser schüttelte ihn jedoch wie einen lästigen, kleinen Hund ab und schleuderte ihn mit einem brutalen Stoß zu Boden.
»So tu doch was, Becky!«, schrie Daniel mit sich überschlagender Stimme. »Er bringt sie um, Becky!… Er bringt Mom um!«
Im selben Augenblick löste sich Becky aus der Starre. Ihr Blick fiel auf das große Küchenmesser, das auf dem Tisch neben einer Schüssel lag. Ihr Herz raste, als sie danach griff. Doch schon im nächsten Moment lösten sich ihre Finger vom Holzgriff und das Messer polterte zu Boden. Ihrem eigenen Vater eine Klinge in den Leib zu stoßen, das brachte sie nicht über sich, nicht einmal jetzt.
Die Mutter versuchte, sich vor den Schlägen des Vaters zu retten, und kroch auf den Durchgang zur Schlafkammer zu. Doch der Vater packte sie an den Beinen, zerrte sie zurück und warf sie auf den Rücken. »So einfach kommst du mir nicht davon!«, schrie er wie von Sinnen. »Ich bin noch lange nicht mit dir fertig!«
»Becky!«, gellte Daniel in schriller Angst.
Becky sprang zum Herd, riss die Wasserkanne von der Platte, holte aus und schlug mit aller Kraft zu. Die halb volle Kanne traf den Vater mit der Bodenkante von hinten am Kopf, als er gerade wieder zuschlagen wollte. Kaltes Wasser schwappte aus dem Gefäß und schoss ihm über den Kopf.
Er schrie auf, taumelte zur Seite, sackte gegen die Wand und blieb dort halb betäubt sitzen, während ihm das kalte Wasser über das Gesicht rann. Mit benommenem Blick sah er zu Becky hoch, die den Kessel noch immer in der Hand hielt, bereit, ein zweites Mal zuzuschlagen. Doch er machte keine Anstalten, sich aufzurichten, und er gab auch keinen Ton von sich. Er saß nur da, schwer atmend, ließ den Kopf sinken, als wäre plötzlich jegliche Kraft aus ihm gewichen, und starrte auf das blutüberströmte Gesicht der gekrümmten Gestalt, die vor ihm im Durchgang lag.
Es war plötzlich still in der Wohnung - bis auf das leise Stöhnen und Wimmern der Mutter, die sich ins Dunkel der Schlafkammer schleppte.
Und dort an der Wand saß der Vater noch eine Stunde später. Er hatte die Hände vor das Gesicht geschlagen, und ohne dass ein Laut über seine Lippen kam, rannen Tränen unter seinen rissigen Fingern hervor.
Eine knappe Woche später, im Morgengrauen eines stürmischen Apriltags, starb die Mutter ganz plötzlich, nachdem sie die ganze Nacht hindurch gehustet und Blut gespuckt hatte. Ihr Gesicht trug noch immer Spuren der Faustschläge, mit denen der Vater sie blutig geprügelt hatte.
»Blutsturz!«, lautete die knappe, leidenschaftslose Feststellung des zuständigen Totenbeschauers, der längst gegen jegliches Leiden und Sterben in Five Points abgestumpft war. »Wieder eine Schwindsüchtige, die es nicht über den Winter geschafft hat!«
13
M OM wird nicht auf Potter’s Field verscharrt!«, sagte Becky entschlossen. Ihre Stimme besaß eine Schärfe, in der eine unausgesprochene Drohung mitschwang. »Sie wird ein richtiges Begräbnis erhalten, mit einem Priester am Grab! Und wenn wir dafür auch noch den letzten Topf und unser letztes Hemd versetzen müssen!«
Beckys Blick fixierte den Vater, als wollte sie ihn damit an die Wand nageln. Würde er es wagen, gegen ihre Forderung etwas einzuwenden?
Der Vater sah sie mit halb offenem Mund an, von ihrem Ton ebenso verblüfft wie Daniel. Dann senkte er vor ihr wie beschämt den Blick und wandte den Kopf ab. »Ja, wir werden sie anständig begraben«, pflichtete
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