Becky Brown - Versprich, Nach Mir Zu Suchen!
ihrer Wohnung ließ sie nicht zu, dass sich bei ihnen Hoffnungslosigkeit und lähmende Angst ausbreiteten.
»Ja, wir machen sehr schwere Zeiten durch und müssen uns bitterlich abstrampeln, um uns über Wasser zu halten. Aber das Blatt wird sich auch wieder wenden, Kinder, und zwar bald, und dann kommen für uns alle bessere Zeiten«, versicherte sie ihnen immer wieder und drückte sie an sich.
Als die Mutter sie Mitte April wieder einmal mit einer ähnlichen Rede aufzumuntern versuchte, fügte sie zum Schluss, nachdem ein heftiger Hustenanfall sie unterbrochen hatte, noch etwas Merkwürdiges hinzu: »Das Letzte, was man aufgibt, ist die Hoffnung. Und ein Brown gibt nicht auf! Niemals, hört ihr? Versprecht mir das!«
»Ja, Mom«, sagte Daniel gehorsam.
»Wir versprechen es«, sagte auch Becky und fing den Blick ihres Bruders auf, der wohl in dem Moment dasselbe dachte wie sie, nämlich dass ihr Vater doch schon längst die Hoffnung auf Arbeit aufgegeben hatte, zumindest auf ehrliche. Denn hatte Coffin ihr nicht letzte Woche erzählt, dass er ihren Vater beim Pfandleiher und Hehler Owen Farrell dabei angetroffen hatte, wie er eine ansehnliche Taschenuhr versetzte? Dabei hatte der Vater doch nie eine Taschenuhr besessen! Aber nichts davon kam ihr über die Lippen.
Zwei Tage später, an einem regnerischen, nasskalten Abend, kam Daniel durchfroren und völlig durchnässt vom Streichhölzerverkaufen nach Hause. Und wie die böse Laune des Schicksals es wollte, polterte der Vater nur wenige Augenblicke nach ihm in die Küche. Dass er den Nachmittag und frühen Abend mit Trinken verbracht hatte, verkündeten der trübe, unstete Blick seiner geröteten Augen sowie der strenge Bieratem.
»Was hast du heute nach Hause gebracht, Sohn?«, fragte er schroff, ohne jeden Gruß und mit schwerer Zunge.
»Es war ein schlechter Tag, Vater«, antwortete Daniel, dem der Regen aus dem Haar rann. »Bei dem Mistwetter hat kaum einer auch nur...«
»Wie viel, habe ich gefragt!«, schnitt ihm der Vater grob das Wort ab.
»Elf Cent«, antwortete Daniel leise.
»Du lügst!«, donnerte der Vater und versetzte ihm eine kraftvolle Ohrfeige.
Daniel wankte zurück. »Es ist die Wahrheit, Vater!«, stieß er mit schmerzverzerrtem Gesicht hervor, griff in die Tasche und hielt ihm die wenigen Münzen hin. »Das ist alles! Ich schwöre es!«
Der Vater schlug ihm die Münzen aus der Hand, die nach allen Seiten davonflogen, und versetzte ihm eine weitere Ohrfeige.
»Du lügst!«, brüllte er erneut. »Ich weiß, dass du mich anlügst! Und wenn es wirklich die Wahrheit ist, hast du dich mal wieder nicht genug angestrengt! Vermutlich hast du dich irgendwo mit deinen Freunden in eine warme Ecke gesetzt und es dir gut gehen lassen, du verdammter Faulpelz und Nichtsnutz! Aber dir werde ich es zeigen, Bursche!«
Er wollte sich auf ihn stürzen, doch da ging die Mutter dazwischen und stellte sich schützend vor ihn. »Hör sofort auf damit, Frederik! Daniel lügt nicht! Und er hat sich mit Sicherheit nicht irgendwo auf die faule Haut gelegt! Siehst du denn nicht, wie müde und durchnässt er ist?«
Der Vater kniff die Augen zusammen. »Ich weiß, dass du ihm alles durchgehen lässt, darum taugt er ja auch nichts! Aber mich täuscht er mit seinem wehleidigen Getue nicht. Ich durchschaue ihn. Und jetzt gehst du sofort aus dem Weg!«, herrschte er sie an.
»Nein, das werde ich nicht!«, erwiderte sie mutig. »Du wirst ihn gefälligst in Ruhe lassen! Ich werde nicht zulassen, dass du den Jungen verprügelst, nur weil er einen schlechten Tag gehabt und weniger als sonst verdient hat!«
»Ich warne dich, Weib!«, brüllte der Vater sie an. »Ich bin hier der Herr im Haus! Und es gilt, was ich sage! Noch ein einziges unverschämtes Wort von dir, und ich werde dir den nötigen Respekt und Gehorsam, den du mir schuldest, so einbläuen, dass du dich ewig daran erinnern wirst!«
»Du bist betrunken, Frederik! Und du solltest dich schämen!« Ihre Stimme zitterte nun, vor Angst wie vor Erregung, als es in einem verbitterten Wortschwall aus ihr herausbrach. »Im Gegensatz zu dir hat Daniel alles getan, was er tun konnte, um wenigstens etwas Geld nach Hause zu bringen! Und das gilt auch für Becky und mich! Wir plagen uns bis zur Erschöpfung, damit Essen auf den Tisch und Kohle in den Herd kommt und wir nicht auf der Straße landen! Du dagegen treibst dich in den Tavernen herum, bleibst ganze Nächte weg und versäufst das wenige Geld, das wir unter
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