Becky Brown - Versprich, Nach Mir Zu Suchen!
Aufschrei, der sich aus ebenso vielen triumphierenden wie wütenden und enttäuschten Stimmen zusammensetzte, stieg wie eine Stichflamme aus der wogenden Menge auf. Doch schon Augenblicke später fiel das wüste Geschrei in sich zusammen und pendelte sich bei einer erträglichen Lautstärke ein. Der blutige Kampf in der Arena hatte wohl ein Ende gefunden. Die Entscheidung über Sieg und Niederlage, also Leben und Tod, war gefallen.
Becky machte sich so klein wie möglich, presste sich an die Wand und wandte den Kopf ab, damit sie nichts von dem mitbekam, was sich im und um den Ring tat. Doch vor den abstoßenden Bildern, die sich ihr schon gleich in den ersten Momenten eingeprägt hatten, vermochte sie sich mit ihrem Wegblicken nicht zu schützen.
»Und ich habe bis heute Abend gedacht, ich hätte schon alles gesehen, was es an verkommenen, miesen Löchern in New York zu sehen gibt! Ganz schöner Irrtum!«, sagte Timothy und gab Acht, dass nur Becky und Coffin ihn hören konnten.
Coffin kratzte sich nervös unter seiner Augenklappe. »Und ich würde jede Wette eingehen, dass es hier in der Gegend noch ganz andere Löcher gibt!«
»Kannst du uns mal verraten, wie du bloß die Bekanntschaft dieses schrägen Vogels gemacht hast?«, fragte Timothy.
»Du meinst Justin? Ach, das ist eine lange Geschichte.«
Timothy winkte ab. »Lass mal. Ist vielleicht ganz gut, wenn wir die Geschichte nicht kennen.«
Augenblicke später kehrte Justin zu ihnen zurück - und er brachte Billy the Butcher mit. Der Anführer der Flussbande Swamp Angels überragte ihn um eine gute Kopfeslänge. Seine Füße steckten in schweren schwarzen Schaftstiefeln, die ihm bis zu den Knien reichten. Zu einer dreckbespritzten Hose aus grauem Segeltuch trug er über dem nackten, muskulösen Oberkörper, den ein Pelz aus dichtem schwarzem Brusthaar bedeckte, eine bunte Flickenweste. Zusätzlich zu dem Messer, das in diesem Viertel wohl jeder an der Seite hängen hatte, war er noch mit zwei Revolvern bewaffnet, die vorn rechts und links in seinem Gürtel steckten. Schwarz wie das dichte Haargeflecht auf seiner Brust war auch der wilde Vollbart, der sein Gesicht, dessen kantige Form Becky unwillkürlich an einen unbeschlagenen Granitblock denken ließ, wie mit einem Verhau aus dünnem, stacheligem Eisendraht umgab. Zwei lange Narben, von denen eine quer über seine krumme Nase verlief, zeugten von Messerstechereien, die er überlebt hatte. Und in einer seiner Pranken hielt er einen Steinhumpen mit heißem Rum.
»Da sind sie, Billy«, sagte Justin überflüssigerweise und deutete dann auf Becky, als er fortfuhr: »Es geht um ihren Bruder. Sie sagt, er ist erst zehn. Sie hängt an ihm, Billy. Die beiden sind sozusagen ein Herz und eine Seele.«
Billy the Butcher bedachte Becky mit einem scharfen, prüfenden Blick. »So, du hast es dir also in den Kopf gesetzt, deinen Bruder von der Insel zu holen, ja?« Seine Stimme klang so dunkel, als käme sie aus einem tiefen Keller. »Und warum kommst du damit ausgerechnet zu mir?«
Becky hielt seinem eindringlichen Blick stand und nahm all ihren Mut zusammen. »Weil ich gehört habe, dass Sie Sachen fertig bringen, die kein anderer schafft«, antwortete sie und gab sich alle Mühe, ihrer Stimme einen festen Klang zu geben. »Und wenn Justin das sagt, dann glaube ich es auch.«
Ein leichtes Lächeln kräuselte die Lippen des Flusspiraten. »Da ist schon was dran, Kleine. Wäre nicht das erste Mal, dass ich jemanden davor bewahrt habe, im verfluchten Steinbauch vom Scavenger Shark 4 zu verrotten.« Er nahm einen kräftigen Schluck aus seinem Steinbecher. »Ich kann das Ding drehen, keine Frage. Aber so einen Ausbruch zu organisieren ist nicht so einfach wie Seilspringen auf der Straße. Da müssen Wärter und Wachposten geschmiert werden, mal ganz davon abgesehen, dass meine Bootscrew und ich uns sicherlich nicht für einen von Justins Bibelsprüchen in die Riemen legen.«
»Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist«, warf Justin mit einem entschuldigenden Achselzucken ein.
»Was wird es denn kosten?«, fragte Becky beklommen, hatte sie vor der Antwort auf diese Frage doch noch mehr Angst gehabt als vor den Gefahren, die in dem Viertel rund um die Water Street lauerten.
»Zwanzig Goldadler.«
»Hundert Dollar?«, stieß Timothy hervor. »Das kriegen wir nie zusammen! Nicht in Jahren!«
Becky war, als hätte ihr jemand den Boden unter den Füßen weggezogen.
»Hätten wir auch nur eine Ahnung davon gehabt, wie
Weitere Kostenlose Bücher