Beerensommer
behandeln und er hatte sich daran gehalten! Alles andere war redlich erworben durch den Verkauf der Beeren, der Kräuter. Aber das konnte er Lisbeth nicht sagen, vielleicht hatte sie ihn sogar verstanden, denn nach ein paar Versuchen hatte sie aufgegeben. Nur die Zigaretten von Louis Dederer nahm er, das war etwas anderes, eine Sache unter Männern, ein Geschenk des Chefs an einen guten und verantwortungsvollen Mitarbeiter.
Dederer wusste, was er an ihm hatte. Und jetzt musste er nur den richtigen Moment abwarten. Dederer durfte nicht so betrunken sein, durfte auch nicht in dieser gereizten, aggressiven Stimmung sein, in der er sich oft zwischen zwei Räuschen befand. Und Übele musste weit genug weg sein, ganz ungestört mussten sie in diesem Moment sein.
Bald war die Mittagspause vorbei. Er ging über die Außentreppe hinauf und betrat das Innere des Sägewerks, wo am Rande der Halle bei den Förderbändern, in denen das Holz vom Wasserbecken hinaufbefördert wurde, die große Gattersäge stand. Er streifte sich den armlangen Lederhandschuh über und überprüfte die Keile. Die Sägeblätter mussten die richtige Spannung haben, sonst konnte der Stamm nicht sicher und genau geführt werden. Zwar waren noch einige Minuten hin bis zum Ende der Mittagspause, aber er hatte sich angewöhnt, als Erster auf dem Platz zu sein. Sie würden gleich alle kommen, sich müde und unwirsch nach oben schleppen, sie würden sich leise murrend den Rest Schlaf aus den Augen wischen, den Schlaf des Hungers und der Entbehrung, und schweigend ihre Plätze einnehmen. Der große Stamm würde nach seinen Anweisungen eingespannt, ganz präzise, und dann würde er dem hellen Ton der Säge lauschen, der ihm verriet, dass die Spannung genau richtig war, und die Sägeblätter würden sich durch den mächtigen Stamm fressen in konstantem und genauem Abstand.
Nein, die anderen Kollegen mochten ihn nicht, hatten eine Abneigung entwickelt gegen den Jungspund, der sich schon wie der Chef selber benahm. Aber sie respektierten ihn, manchmal hatte er sogar den Eindruck, dass sie ihn fürchteten ...
Als Letzter würde Übele kommen, in dessen schwarzen Schnurrbartspitzen noch die Reste des Mittagessens hingen, breitbeinig würde er dastehen und tückische Blicke in Friedrichs Richtung werfen. Und dann würde er in dem winzigen Raum mit dem kleinen Fenster in der Tür verschwinden, durch das er alles beobachten konnte. Dieser Raum diente ihm als eine Art Büro, wo er die Bücher aufbewahrte, er war stets mit einem großen Vorhängeschloss verschlossen, wenn Übele unterwegs war. Aber das wird dir nichts mehr nützen, dachte Friedrich. Du bist schon so gut wie erledigt, du weißt es nur noch nicht!
Als er abends die knarrende Eingangstür zur Stadtmühle aufmachte, kam ihm Emma, dicht gefolgt von Gretl, entgegengerannt.
»Fritz, Fritz, hör nur, Johannes kommt bald, er hat geschrieben!«, riefen sie gleichzeitig durcheinander.
Friedrich merkte plötzlich, wie seine Knie weich wurden. Ungeduldig schoben sie Friedrich in die Küche.
»Langsam, langsam, ich verstehe gar nichts! Also, der Reihe nach.« Aber er hatte genau verstanden, das Wichtigste hatte er genau verstanden: Johannes lebte! Johannes kam nach Hause!
Die beiden kleinen Mädchen plapperten weiter aufgeregt durcheinander. Frau Weckerlin schob ihm stumm einen Brief über den Tisch zu, der eng mit einer fremden Handschrift bedeckt war. Friedrich begrüßte mit einem Kopfnicken die Ahne, die auf der anderen Seite des Tisches saß und eine undefinierbare graue Brühe schlürfte. Sie konnte fast gar nichts Festes mehr essen. Er nahm den Brief, hielt ihn für einen Moment ganz fest, so zitterten ihm die Hände. Wie sehr hatten sie auf ein Lebenszeichen von Johannes gewartet! Er hatte doch fast immer jede Woche geschrieben.
»Bestimmt wird die Post nicht regelmäßig transportiert – es wird gerade gekämpft ... er kommt einfach nicht zum Schreiben.«
Mechanisch hatte er diese Sätze wiederholt, immer wieder die gleichen Sätze, an die sich die Ahne geklammert hatte und die Mädchen und alle anderen. Nichts anderes hatte er glauben wollen, denn dass Johannes nicht mehr aus dem Krieg heimkehren sollte, schien ihm so undenkbar, so unvorstellbar, als würde ihm jemand ein ungeheures Erdbeben oder eine neue Sintflut prophezeien. Es konnte nicht sein und es durfte nicht sein – aber wenn er in diesen Tagen abends von der Arbeit nach Hause kam, mit jedem Schritt die stärker werdende
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