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Beerensommer

Beerensommer

Titel: Beerensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Barth-Grözinger
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Beklemmung spürend, es liege womöglich eine ganz andere Nachricht auf dem Küchentisch, ahnte er, dass sich das Schicksal vielleicht nicht um Friedrich Weckerlins Pläne kümmerte! Fast war er versucht gewesen, mit diesem Schicksal – den Namen Gott vermied er seit Wilhelms Tod geflissentlich – wieder einen Handel abzuschließen, vielleicht auf die Rache an Übele zu verzichten, irgendetwas zu geloben, was Johannes’ Rettung würdig erschien, aber es fiel ihm nichts ein.
    Johannes, sein Johannes, stand außerhalb dieser Dinge, er hatte doch damit gar nichts zu tun! Und jetzt war er gekommen, dieser ersehnte, erhoffte, verzweifelt herbeigesehnte Brief. Eine fremde Handschrift war es allerdings, und so hatte der Brief zunächst einen kurzen, aber großen Schrecken bereitet, der sich dann in Erleichterung auflöste. Johannes lebte, das war das Wichtigste, ein Kamerad hatte für ihn in ungelenken Buchstaben geschrieben, die kaum zu entziffern waren, aber Johannes hatte den Brief diktiert und so war die größte Sorge genommen.
    Er war an der Schulter verwundet, von großem Blutverlust schrieb er, knapp am Herzen vorbei seien die Schüsse gegangen. Als diese Sätze vorgelesen wurden, hatten sich alle für einige Sekunden schreckerfüllt angestarrt, und dann kam die bange Frage, die sich jetzt auch Friedrich stellte: Wie schwer er denn nun verletzt sei, und was war mit der Schulter, mit dem Arm? Würde alles wieder in Ordnung kommen, konnte er wieder arbeiten? Das, dachte Friedrich sarkastisch, ist für unsereins die entscheidende Frage, auch eine Frage von Leben und Tod.
     
    Drei Wochen später schleppte sich Friedrich ausgemergelt und immer noch von Fieberkrämpfen geschüttelt zum Sägewerk. Diese verdammte Grippe hatte auch ihn erwischt, diese Grippe, die die Menschen reihenweise sterben ließ. Mit Emma hatte es angefangen. Zwei Tage nachdem der erlösende Brief von Johannes gekommen war, hatten sie Otto und Ernst vom Wald gebracht, nein, geschleift hatten sie sie, denn sie war fast besinnungslos gewesen. Obwohl Frau Weckerlin protestiert hatte, war sie mit der kleinen Gretl und den Mühlbeck-Buben in die Beeren gegangen. Es gab einen erbitterten Kampf um jede Beere in diesem Kriegssommer 1918. Man pflückte nicht mehr fürs Geld, was hätte man dafür auch kaufen können?, man konnte die Beeren tauschen! Es gab noch wenige Familien wie die Tourniers und die Zinsers, die von allem auch in diesen Zeiten reichlich hatten, und die großen und vornehmen Hotels in Wildbad waren ebenfalls Abnehmer. Wenn man Glück hatte, bekam man etwas Fett oder eine Tasse Mehl oder zwei, drei Eier, eine unerhörte Kostbarkeit. Und was nicht getauscht werden konnte, aß man eben selber, füllte sich, so gut es ging, die stets leeren Bäuche mit den süßen Beeren, um die man sich förmlich balgte und zankte. Friedrich wusste, warum Gretl und Emma gerade in diesen Tagen so begierig darauf waren, so viel wie möglich zu ernten.
    »Wir sammeln«, hatte ihm Emma anvertraut, »wir sammeln für Johannes’ Heimkehr. Die Mutter muss Spätzle machen, wenn er kommt, Spätzle aus richtigem, echtem Mehl. Stell dir vor, was das für ein Festessen gibt. Johannes wird staunen!«
    Er war gerührt über diesen Eifer der beiden Mädchen, selbst die Mühlbeck-Buben arbeiteten nicht nur auf eigenen Profit, sondern gaben etwas für Johannes und das Festessen ab.
    Friedrich hatte aber auch einen Anflug von Eifersucht gespürt! Ob sie bei seiner Heimkehr auch so eifrig an sein Wohlergehen denken würden? Johannes wurde geliebt, obwohl er gar nichts dafür tat! Johannes, der Bilder malte und vorlas und sie mitnahm in seine Welt, in der es keine Not und keinen Hunger gab und in der so vieles möglich war, an das man gar nicht mehr zu glauben wagte – Liebe und Glück und Hoffnung! Und er, Friedrich, stand fest in der richtigen Welt und kämpfte seine eigenen Kämpfe, die mühselig und schmutzig waren!
    Er spürte in diesem Moment das leise raschelnde Papier in den Taschen seiner Arbeitshose, die um seinen dürr gewordenen Leib schlotterte. Das Geräusch beruhigte ihn, genau wie der Gedanke, dass er es eines Tages geschafft haben würde, und dann konnte er auch so sein wie Johannes, mehr noch, sie konnten einige ihrer Träume wahr werden lassen!
    Wieder kehrten seine Gedanken zurück zu diesem bewussten Abend, als ihm Guste ganz aufgeregt entgegengestürzt war. Emma gehe es sehr schlecht, hatte sie ihm mit fliegendem Atem zugerufen, sie habe schon den

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