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Beerensommer

Beerensommer

Titel: Beerensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Barth-Grözinger
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Der Alte hatte also wieder einmal Besuch, Geschäftsbesuch. Der Krieg war verloren, aber bis zum letzten Tag würde man liefern, was nötig war, Gewehre, Munition, Tuche für die Uniformen und Stollenbretter für die Schützengräben. Man wollte verdienen – bis zum letzten Tag, bis zum letzten Mann.
    Lisbeth starrte ihn an, die hervorquellenden hellblauen Augen hielten ihn mit diesem seltsam unbeweglichen Blick fest. Friedrich wartete darauf, dass sie den Anfang machte, irgendetwas sagte, ihr Erstaunen über seinen abendlichen Besuch kundtat. Aber Lisbeth sagte nichts, starrte nur und schwieg.
    Also musste er beginnen. Er presste zögernd die Worte hervor, vermied Lisbeths Blick. Wie mühsam ihm auf einmal das Sprechen fiel. Aber dann sah er Emmas fieberheißes Gesichtchen vor sich, darüber schob sich das erstarrte Gesicht von Wilhelm, und dann ging es. Emma sei schwer erkrankt, die Grippe, und sie sei zu dünn und sie, Lisbeth, wisse doch sicher, dass der Körper jetzt Kraft brauchte, gutes Essen und ... An dieser Stelle stockte Friedrich kurz und fuhr dann fort: »Dein Vater bietet mir immer wieder etwas an, und du hast ja auch schon gesagt, dass ... Kurz und gut, wenn wir die nächste Zeit etwas Butter bekommen könnten und Eier und vielleicht auch Milch und helles Brot ... Ihr könnt es mir vom Lohn abziehen, alles. Ich gebe alles zurück, aber Mutter und ich, wir wären euch sehr dankbar ...«
    Da war es heraus, dieses verhasste Wort »dankbar«. Wie er dieses Wort hasste! Dankbar! Leute wie sie mussten immer dankbar sein, seit damals, als man sie in die Stadtmühle geschickt hatte!
    Lisbeth starrte ihn immer noch mit ihren Glubschaugen an, sie öffnete den Mund, als ob sie etwas sagen wolle, drehte sich dann aber auf dem Absatz um und verschwand im dunklen Flur. Immer noch hörte man das Lachen, die Stimmen und das Klappern von Geschirr. Und dann war Lisbeth wiedergekommen, hatte einen großen Korb fest an sich gedrückt. »Hier«, sagte sie leise. »Es reicht auch für dich und deine Mutter. Ihr müsst essen, sonst werdet ihr ebenfalls krank.« Eine zarte Röte zog sich vom Ansatz ihres Halses das ganze Gesicht hinauf. »Ihr könnt mehr haben. Hol dir einfach, was ihr braucht.« Und sie hatte ihm den Korb entgegengestreckt und dabei ängstlich seinen Blick gemieden. Almosen, hatte Friedrich gedacht, Almosen, aber im selben Augenblick schalt er sich ungerecht. Und trotzdem, er hätte in diesem Moment Lisbeth ins Gesicht schlagen können, mit aller Kraft – statt Dankbarkeit war da nur übermächtiger Hass! Du bist verrückt, dachte er erschrocken über sich selbst, komplett verrückt! Und er bemühte sich, sie freundlich anzulächeln. Sie erwiderte dieses Lächeln nicht, worüber er froh war, sie starrte ihn nur noch einmal kurz mit diesem Blick an, den er einfach nicht deuten konnte.
    Sie macht mir fast Angst mit diesem Ausdruck in den Augen, hatte er gedacht. Es lag so viel Erwartung darin, eine fast hungrige Erwartung und eine Sehnsucht, die er als bedrohlich empfand. Er war kein Kind mehr, er wusste, was dieser Blick bedeutete! Elisabeth Dederer, Tochter eines der reichsten Männer im Dorf, in der ganzen Gegend, Glotzbeth, hatte sich in ihn verliebt!
    Schwer wog der Korb, als er ihn aufnahm, und noch schwerer wog er in seiner Hand, als er endlich die Stadtmühle erreicht hatte.
     
    Wenige Tage später war auch er krank geworden! Hatte es abends nach der Arbeit, die er kaum noch verrichten konnte, gerade noch nach Hause geschafft und war dann, gefällt wie ein Baum, auf das Bett gesunken. Mutter war ganz außer sich gewesen. Im Dämmer hörte er, wie sie zu Lene sagte: »Ich bete Tag und Nacht, dass dieser fürchterliche Krieg zu Ende geht und mein Junge nicht auch noch einberufen wird! Soll er mir jetzt am Fieber sterben?«
    Wieso sterben?, hatte er verwundert gedacht, bevor er in eine endlose Dunkelheit gesunken war. Mehrere Tage hatte er dann im Fieberdelirium gelegen, von wilden Träumen gepeinigt, durch die vor allem der Vater und Wilhelm geisterten. Dann aber hatte er sich erstaunlich rasch erholt. Dazu hatten auch die Körbe beigetragen, die vom Dederer-Haus regelmäßig vorbeigeschickt wurden. Die Mutter hatte es ihm erzählt, als er zum ersten Mal wieder aufstehen konnte und erstaunt auf das weiße, flockige Brot und das gekochte Ei starrte, die da auf dem Tisch lagen.
    »Frau Kiefer hat die Sachen gebracht. Sie ist fast jeden zweiten Tag gekommen«, berichtete die Mutter ausdruckslos und hatte

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