Beerensommer
Dederer«, fiel ihm Friedrich aufgeregt ins Wort, »viel zu eng, entschuldigen Sie. Wir könnten ...«
»Wir könnten, wir könnten. Wer ist denn dieser ›wir‹?!« Louis Dederers Stimme überschlug sich fast. »Gehört dir das Sägewerk schon? Langsam, Freundchen, langsam. Noch habe ich hier das Sagen!«
»Entschuldigung, Herr Dederer.« Friedrich zwang sich, ganz ruhig zu bleiben. Jetzt nur keine Fehler machen. Er durfte den Alten nicht gegen sich aufbringen, musste ihn im Gegenteil von seiner Loyalität und seinen Fähigkeiten überzeugen. »Was ich sagen wollte, ist, dass Sie (er betonte das ›Sie‹ nur ganz leicht) beispielsweise in verschiedenen Gemarkungen Fichten anpflanzen könnten. Fichten wachsen schnell und geben ideales Grubenholz. Bergbau wird es immer geben, auch nach dem Krieg, und die Nachfrage wird steigen, da bin ich mir ganz sicher! Das heißt, wir ... Sie können nach dem Anpflanzen rasch wieder einschlagen.«
Friedrich verstummte. Louis Dederer sah ihn so merkwürdig an. Er griff in die rechte untere Schreibtischschublade, holte eine Flasche Schnaps heraus und zog mit den Zähnen den Korken aus dem Flaschenhals, dann nahm er einen tiefen Schluck und starrte, die Flasche immer noch in der rechten Hand haltend, auf die Tischplatte.
»Hast dir alles schon fein ausgedacht.« Um seine Lippen zuckte ein geisterhaftes Lächeln, dann sah er Friedrich an. Der erschrak! Was machte denn der Alte plötzlich für ein Gesicht? Ein ganz seltsames Gesicht war das, eines, aus dem plötzlich alle Anspannung, alles Lebendige gewichen war. Es war nur noch eine Maske, eine fahle, gelbliche, runzlige Maske.
»Sie mag dich«, flüsterte Louis Dederer, »Himmelherrgott, sie mag dich und ich würde viel drum geben, wenn’s nicht so wäre! Bist ein kluger Kopf und tüchtig und dem Sägewerk wird’s guttun, aber in dir ist etwas drin, etwas ...« Er nahm noch einmal einen tiefen Zug aus der Flasche, dann starrte er wieder mit diesem unergründlichen Blick auf Friedrich, der ihn mit angehaltenem Atem ansah.
Louis Dederer setzte den Satz fort, bedächtig und ohne den Blick von Friedrich zu nehmen: » ... etwas, das mir Angst macht! Bist ein richtiger Teufelskerl, im wahrsten Sinn des Wortes.« Er wandte den Blick ab, schaute hinaus zum Fenster, durch das man die dunkelgrünen Wipfel der Wälder am Eiberg sehen konnte. »Aber noch ist Zeit«, flüsterte er mehr zu sich selbst als zu seinem Gegenüber. »Noch bin ich da, noch ist Zeit. Noch ist Zeit!« Er verstummte.
Die Worte hingen im Raum wie der ferne Klang eines Echos. Langes Schweigen folgte. Es schien, als lauschten beide dem Gesagten nach, jeder auf seine Weise.
Schließlich hielt Friedrich es nicht mehr aus. »Ich verstehe Sie nicht, Herr Dederer.« Im selben Moment wurde ihm bewusst, wie falsch und hohl das klang. Louis Dederers Gesichtszüge glätteten sich, Leben und Spannung kehrten zurück und er sagte im üblichen befehlsgewohnten Ton: »Du verstehst mich sehr gut! Und jetzt geh und schick mir den Übele herüber. Und falls du junger Hüpfer darauf spekuliert hast, jetzt Vorarbeiter zu werden, muss ich dich enttäuschen. Dafür bist du noch zu grün. Musst noch viel lernen! Und jetzt raus!«
Leise schloss Friedrich die Tür hinter sich. Im Hinausgehen sah er, wie der Alte noch einmal einen tiefen Zug aus der Schnapsflasche nahm. Er trat hinaus in das gleißende Sonnenlicht. Auf dem gepflasterten Hof zwischen Büro und Sägewerk lag die brütende Hitze wie ein Tuch, das einen einhüllte und den Atem nahm. Vor ihm ragte das Sägewerk empor, ein mächtiger, schwarz-brauner Holzbau, errichtet auf einem festungsartig wirkenden Sockel aus rötlichem Buntsandstein.
Aus der weit geöffneten Tür zum Sägemehlraum kam gerade ein alter Mann geschlurft, der einen Leiterwagen hinter sich herzog. Friedrich erkannte ihn, das war Geißen-Willis Vater, der wohl Sägemehl für den Stall geholt hatte. Sein Sohn, Friedrichs und Johannes’ ehemaliger Schulkamerad, hatte nicht in den Krieg ziehen müssen, weil er zu blöd war, wie die Leute sagten. Aber er war freundlich und gutwillig und stark und fleißig und hielt sich und seine Familie mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser. Er hatte auch schon ein paarmal im Sägewerk ausgeholfen, wenn ein größerer Auftrag anstand, dabei unermüdlich mit den langen Eisenhaken die Stämme nach oben zur großen Gattersäge gezogen und sich dabei in fast hündischer Ergebenheit Friedrichs Anordnungen unterworfen.
Es hatte
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