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Beerensommer

Beerensommer

Titel: Beerensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Barth-Grözinger
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Tochter neben dem Erstgeborenen. Und dann brachte sie so einen! – Goldschmied hin oder her. Das musste es wohl sein, hatte sich Johannes immer wieder gedacht. Wahrscheinlich wartete Marie darauf, dass er sich endlich zu ihr bekannte. Wenn sie erst einmal verlobt waren, würde ihre Mutter sich mit dem Gedanken abfinden müssen und einlenken, dann hörten auch die ewigen Nörgeleien und Sticheleien auf, die Marie offensichtlich so zermürbten.
    Der Hintergrund, die oberitalienische Landschaft, wie sie in Johannes’ Fantasie existierte, war jetzt fertig. Im Vordergrund des Bildes streckte der Taugenichts jauchzend die Geige in den blauen Himmel. So soll es sein, dachte er. So stelle ich es mir vor mit uns beiden. Wie heißt es im Buch? »Wer in die Fremde will wandern, der muss mit der Liebsten gehen ...«
    Ich möchte noch so viel erleben und entdecken, und sie an meiner Seite, das ist das Glück, das richtige Leben!
    Er hatte oft davon gesprochen und sie hatte dann gelächelt und ihm die widerspenstigen Haare aus der Stirn gestrichen. »Mein Johannes, der Träumer«, hatte sie gesagt.
    Nein, kein Traum sollte es sein. Vorsichtig nahm er die Kassette und trug sie hinüber zum Brennofen, er musste sich beeilen, denn bald würde der Nachtwächter kommen und alles zuschließen.
    Die Firma Armbruster gestattete ihren Angestellten, Schmuckstücke für den privaten Bedarf in ihren Räumlichkeiten anzufertigen, vorausgesetzt, man bezahlte das Material und arbeitete nach Feierabend. Nun musste er sich beeilen, um den Zug noch zu erreichen, eigentlich hätte er auch laufen können, an diesem strahlend hellen, lichtblauen Sommerabend, aber er wollte Marie sehen, mit ihr reden und ihr diesen merkwürdigen, tief sitzenden Kummer aus den Augen küssen.
    Im Hinausgehen sah er hinüber zur Kasse, einem verglasten Raum. Frau Hirschmann, eine zierliche, rothaarige Frau, winkte herüber, sie schien noch damit beschäftigt, Zahlen in das große, dickleibige Buch einzutragen, in das sorgsam die ausgegebenen Metalle notiert wurden: Kupfer, Silber, Gold ... in langen Kolonnen Zahl für Zahl festgehalten und an jedem Abend genau abgerechnet. Auch dem Erschaffen eines Kunstwerks lag ein buchhalterischer Akt zugrunde, alles hatte mit Geld zu tun, das war Johannes in der Zwischenzeit klar geworden. Vorbei war die Zeit, in der er kindlich naiv oben am Waldrand gesessen und gemalt hatte, in festem Glauben, das Schöne ließe sich aus dem Nichts erschaffen, sei nur der Willensanstrengung und der Schöpferkraft des Künstlers zu verdanken.
    Er grüßte höflich zurück, Frau Hirschmann war stets freundlich und zuvorkommend zu ihm. Sie teilte das Schicksal vieler Frauen in dieser Zeit, ihr Mann war im Krieg gefallen, die dürftige Hinterbliebenenrente reichte für sie und die beiden Kinder nicht aus, sodass sie etwas dazuverdienen musste. Viele Frauen arbeiteten jetzt, saßen in Büros, putzten, verkauften. Frauen, deren Männer auf dem »Feld der Ehre« geblieben oder dort verwundet worden waren; und auch junge Frauen, die keinen Mann fanden, weil die »Blüte des Landes«, wie es Caspar einmal formuliert hatte, draußen auf den Schlachtfeldern des Westens und Ostens verblutet war.
    Als Johannes hinaustrat aus dem großen Werkstor, flimmerte der Asphalt immer noch in der sommerlichen Hitze. Undenkbar, dass der Krieg erst fünf Jahre zurücklag. Undenkbar, dass es so etwas wie Krieg oder Sterben gegeben hatte, dachte er, als er sich den Weg durch sommerlich gekleidete Menschen bahnte, die lachend und schwatzend auf ein Bier oder ein Viertel Wein in die Biergärten strömten. Aber der Friede war trügerisch, das wusste er. Darüber redeten sie immer wieder auf ihren Versammlungen im Bräukeller in Pforzheim oder auch in Grunbach, wo sich tatsächlich eine Ortsgruppe zusammengefunden hatte. Seit Januar hatten die Franzosen das Ruhrgebiet besetzt, es wurde dort nicht mehr gearbeitet und das Geld war immer weniger wert. Man trug es schon bündelweise in der Aktentasche heim, wenn der Lohn ausgezahlt wurde. Ein Brotlaib kostete fast viertausend Reichsmark in diesem Sommer 1923 und noch war kein Ende abzusehen!
    Nein, dachte Johannes, als er in die Bahnhofstraße einbog, der Friede war brüchig und die alten Kräfte waren wieder am Werk. Und die Sozialdemokraten waren Hasenfüße, hatten nichts grundlegend verändert, sodass das Sterben umsonst gewesen war. Ja, sie hatten sogar mit Schuld daran, dass Rosa totgeschlagen und Paule erschossen worden

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